Ausgeplappert: Lissie Sommers erste Leiche

Ausgeplappert: Lissie Sommers erste Leiche

by Katrin Schön
Ausgeplappert: Lissie Sommers erste Leiche

Ausgeplappert: Lissie Sommers erste Leiche

by Katrin Schön

eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Vorbei ist´s mit der hessischen Idylle – die größte Klatschbase des Städtchens ist ermordet worden. Mitten drin bei den Ermittlungen: Lissie Sommer, Mitte dreißig, Reisefachfrau und zum Kummer ihrer Mutter immer noch ungebunden. Lissie hat die Tote zuletzt gesehen und weiß, dass ein komischer Hercule-Poirot-Verschnitt gerade die Gegend unsicher macht. Leider glauben ihr weder Lissies beste Freundin Doris noch der ermittelnde Kommissar Loch – eigentlich ein Mann zum Träumen, auch wenn eine Sommer ein kleines Problemchen mit diesem Loch hat. Lissie will daher selbst rausfinden, was eigentlich passiert ist. Erste Anlaufstelle ist "Das grüne Kränzchen", das örtliche Gasthaus. Da ahnt Lissie noch nicht, wie so ein bisschen Kneipenklatsch und Tratsch ein Leben für immer verändern kann … Lissie Sommers erster Leiche ist ihr erster Fall - und bestimmt nicht ihr letzter. Denn danach ist in der hessischen Idylle nichts mehr wie es war. Lissie Sommers nächste Tote kommt bestimmt.

Von Katrin Schön sind bei Midnight erschienen:
Ausgeplappert
Ausgeschifft
Abgeschlagen


Product Details

ISBN-13: 9783958190436
Publisher: Midnight
Publication date: 09/11/2015
Series: Ein-Lissie-Sommer-Krimi , #1
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 222
File size: 2 MB
Language: German

About the Author

Katrin Schön wuchs im hessischen Dörfchen Hochstadt auf. Ihr komödiantisches Talent entdeckte die gelernte Bankkauffrau schon früh im hiesigen Karnevalsverein, wo sie bereits als Teenager vor allem die Lokalpolitik mit spitzer Feder aufs Korn nahm. Nach ihrem Studium der Publizistik in Bochum arbeitete sie als Fachjournalistin in Hamburg, bevor sie ein Angebot als Pressesprecherin annahm und ihren Lebensmittelpunkt nach Köln verlegte. Dort ist sie seit fast 9 Jahren zu Hause und arbeitet aktuell als Projektmanagerin. Mit "Ausgeplappert. Lissie Sommers erste Leiche" erschien 2015 ihr erster Krimi.

Katrin Schön wuchs im hessischen Dörfchen Hochstadt auf. Ihr komödiantisches Talent entdeckte die gelernte Bankkauffrau schon früh im hiesigen Karnevalsverein, wo sie bereits als Teenager vor allem die Lokalpolitik mit spitzer Feder aufs Korn nahm. Nach ihrem Studium der Publizistik in Bochum arbeitete sie als Fachjournalistin in Hamburg, bevor sie ein Angebot als Pressesprecherin annahm und ihren Lebensmittelpunkt nach Köln verlegte. Dort ist sie seit fast 9 Jahren zu Hause und arbeitet aktuell als Projektmanagerin. Mit „Ausgeplappert. Lissie Sommers erste Leiche“ erschien 2015 ihr erster Krimi.

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Ausgeplappert

Lissie Sommers erste Leiche


By Katrin Schön

Midnight

Copyright © 2015 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
All rights reserved.
ISBN: 978-3-95819-043-6


CHAPTER 1

Gerüchte zum Frühstück

* * *

Ich niese.

»Geh fott! Du hast schon wieder keine Schuhe an!«, schimpft meine Mutter. »Du wirst dich noch erkälten!«

Ich laufe zu Hause – seit ich 15 bin – barfuß herum, da man mit Beginn der Pubertät Hausschuhe doof findet. Und habe mich trotzdem noch nie erkältet. Jedenfalls nicht vom Zu-Hause-ohne-Schuhe-Herumlaufen. Sonst war ich natürlich schon mal erkältet. Dann hatte ich aber auch das Bedürfnis nach warmen Füßen und habe wenigstens Socken angezogen. Hausschuhe finde ich nach wie vor so eher mittel.

Ich sitze auf dem Balkon meiner Eltern in der hessischen Idylle meines Geburtsortes. Eigentlich ist Traunbach eine Kleinstadt, obwohl es weder ein Kino noch ein Theater gibt. Das Jugendzentrum hat vor Jahren zugemacht, und das Bürgerhaus wird selbst von den Tourneen abgehalfterter B-Schauspieler nicht mehr bedacht. Ich glaube, es liegt am Asbest. Also im Bürgerhaus. Aber immerhin haben wir eine Eisdiele – ich schätze, auch das nur, weil dort die italienische Mafia ihr Geld wäscht. Wie kann man sich sonst erklären, dass der Laden jede Saison unter einem neuen Namen, aber mit gleicher Mannschaft wieder öffnet.

Überhaupt: An Gaststätten und Kneipen mangelt es Traunbach nicht – wenigstens hat man sich den Sinn für Esskultur bewahrt. Oder Trinkkultur. Je nach Etablissement. Wahrscheinlich findet man deshalb immerhin auch Geschäfte, die den täglichen Bedarf an Käse, Wurst, Obst, Gemüse und Wattestäbchen abdecken – die Eingeborenen essen und trinken halt gern. Und doch ist es eher ein Dorf als eine Kleinstadt: Jeder kennt jeden. Und wenn man jemanden nicht kennt, heißt das noch lange nicht, dass man nicht trotzdem eine Meinung zu allem und jedem hat.

Ich sitze also in der Sonne, es ist Mai, aber die Temperaturen erinnern bereits an Juli, sodass ich eigentlich auch deshalb keinen Grund dafür sehe, warum ich im »Hochsommer« mit Schuhen rumlaufen sollte – auch wenn der Kalender noch steif und fest behauptet, es wäre später Frühling. Es ist ein herrlicher Samstagmorgen. Wir sind gerade dabei, ausgiebig zu frühstücken, und jetzt muss ich noch einmal gähnen.

Auch wenn ich inzwischen nur noch ab und zu an den Wochenenden zu Besuch da bin, hat sich das samstägliche Frühstücks-Weck-Ritual meines Vaters nicht geändert. Meistens werde ich bereits vom Knarren unserer Treppenstufen das erste Mal gegen halb acht wach. Spätestens zu dieser Uhrzeit hält es meine Eltern nicht mehr in der Horizontalen: Senile Bettflucht. Papa kann dann mit Duschen und Frühstückstischdecken noch eine Dreiviertelstunde rausschinden, bevor er spätestens um halb neun singend in mein Kinderzimmer in den zweiten Stock getapert kommt, den Rollladen hochzieht und fragt: »Frühstückst du mit, oder willst du weiterschlafen?«

»Hab ich eine Wahl?«

»Du musst ja nicht. Kannst auch weiterschlafen«, brummt er ein bisschen eingeschnappt.

Seit Jahren führen wir nahezu den gleichen Dialog. Ich seufze ein bisschen zu theatralisch, blinzle und rapple mich hoch. Das Samstagmorgen-Frühstück genieße ich immer besonders. Der Tag ist noch ganz jung, es gibt frische Brötchen vom Bäcker, der noch selbst knetet, statt polnische Teigrohlinge aufzubacken, und ein gekochtes Ei. Und das mit der frühen Uhrzeit werden wir wohl in diesem Leben nicht mehr ändern können.


»Juhuuuuu«, schreit es von der Straße zu uns auf den Balkon hoch. »Habt Ihr noch 'n Weck für mich?«

Es ist Carla.

»Komm hoch. Warte, ich mach dir auf«, schreit ihr meine Mutter entgegen.

»Morgenstund hat Gold im Mund«, murmelt mein Vater in seinen nicht vorhandenen Bart, und ich kann dabei die Ironie in seinem Tonfall heraushören. Ich muss grinsen.

Carla kommt die Treppe hochgejuckelt. Sie greift ihren etwas zu ausladenden Sommerhut und wirft ihn auf unser Sofa, bevor sie auf den Balkon tritt. Mein Vater stellt ihr schweigend einen Stuhl hin, und meine Mutter steht mit einem weiteren Kaffeegedeck in der Tür.

»Na, das passt ja gut«, sagt Carla und lässt sich auf den bereitgestellten Stuhl fallen. »Schee, immer wieder schee hier bei euch. Und du bist auch mal wieder im Land?«, sagt sie zu mir gerichtet und hält meinem Vater erwartungsvoll die Kaffeetasse hin. Mein Vater nuschelt ein »Guten Morgen!«, verzieht ein bisschen das Gesicht, sagt aber nichts weiter und schenkt Carla eine Tasse Kaffee ein. Carla wartet meine Antwort erst gar nicht ab, dreht sich zu meiner Mutter um und klopft auf das Sitzkissen.

»Ei, warum setzt du dich denn nicht?«

Carla ist die beste Bekannte meiner Mutter. Sie kennen sich seit der Schule – wie man sich eben so in einem Dorf kennt -, sie waren als Teenies gemeinsam im Urlaub und haben irgendwie ihr halbes Leben mit irgendwelchen Feten und Dorftratsch zusammen verbracht. Obwohl beide ihre eigenen Freundeskreise, Hobbys und Männer pflegten, hat sich diese Liaison irgendwie über die Jahre gerettet. Ob es eine Freundschaft ist? Dafür sind die beiden eigentlich zu unterschiedlich. Beim Blick auf meine nackten Füße hätte meine Mutter gerne, dass ich Schuhe anziehe, Carla fände es besser, wenn ich mir die Fußnägel blau statt dunkelrot lackieren würde.

Meine Mutter setzt sich und protestiert stumm gegen Carlas nassforsche Art, indem sie ihr kein Frühstücksei anbietet. Ich glaube, Carla mag keine Eier oder findet Frühstückseier einfach nicht wichtig. Aber ich weiß genau, wie es jetzt in meiner Mutter rotiert: »Ich hab ja nix dagegen, wenn sie einfach vorbeikommt und sich zum Frühstücken einlädt, aber einfach so koche ihr jetzt nicht noch extra ein Ei. Also wenn sie mal zur Abwechslung fragen würde, dann würde ich ihr natürlich eins kochen. Da ist ja auch nichts dabei. So ein Ei ist ja schließlich schnell gekocht, und was kostet denn auch so ein Ei. Aber sie könnte ja mal fragen. Und wenn sie nicht fragt, dann bekommt sie auch keins. Soll sie sich jetzt ruhig mal Gedanken machen, warum sie kein Frühstücksei vor sich stehen hat.« Das Problem an den inneren Dialogen meiner Mutter ist, dass sie

Carla nicht hört. Und so, wie die durchgeknallteste Mittsechzigerin, die ich je kennengelernt habe, jetzt in ihr Marmeladenbrötchen beißt, verschwendet sie keinen Gedanken an Mamas Frühstücksei oder die damit verbundenen Wenn-dann-Überlegungen.

»Habt Ihr eigentlich schon das Neueste gehört?«, bringt Carla kauend hervor. Ich merke, wie sich der Frühstückseimorgengroll meiner Mutter der Neugier unterwerfen muss. Carla hat das einzige Shopping-Highlight in Traunbach: Ein Damenoberbekleidungsgeschäft. Sprich: eine Boutique. Ich muss dabei immer an Loriot denken und sage innerlich »Butieke«, obwohl Carla großen Wert darauf legt, dass es sich eben NICHT um ein gewöhnliches Damenoberbekleidungsgeschäft handelt. Wahrlich liegt das an dem, sagen wir mal, ausgefallenen Geschmack.

Ich habe keine Ahnung, ob sie mit den Klamotten eigentlich Geld verdient und wo man so etwas ordern kann. Ich glaube sogar, dass die Sachen, die sie anbietet, wirklich hipp sind oder waren. Nur fehlt Carla erstens das passende Timing – sie ist mit ihrem Modegeschmack entweder ihrer Zeit voraus oder mindestens drei Jahre hintendran – und zweitens ignoriert sie geflissentlich, dass wir uns in Traunbach befinden, das so ziemlich alles ist – nur nicht der Nabel der Modewelt.

Unser Dörfchen ist eigentlich der Nabel von gar nichts auf der Welt. Und seit auch noch die Handkäs-Produktion in den Ruin getrieben wurde, haben wir noch nicht einmal mehr diesen stinkenden Kern hessischer Essenstradition behalten.

Carla hat es sich offenbar in den Kopf gesetzt, trotzdem etwas Großstadtflair nach Traunbach zu bringen. Die Main-Metropole ist schließlich nicht weit, und in unserem Kaff muss es doch wenigstens ein paar modebewusste Damen der Gesellschaft geben, die das Geld und den Mut haben, etwas ausgefallenere Kleidung zu tragen. Es gibt in der Tat ein paar. Denn: »Man hilft sich« in einem Ort wie unserem – auch wenn Carla keine (finanzielle) Hilfe nötig hat. Und trotzdem: Der ortsansässige Einzelhandel wird unterstützt. Man kennt sich, man kauft beieinander ein. Die Schreinersfrau denkt bei einem Carla-ShoppingBesuch an einen potenziellen Auftrag für ihren Mann, die Frau vom Bäcker will sich ebenfalls nicht nachsagen lassen, dass man sich auf der Hauptstraße nicht gegenseitig unterstützt. Ebenso geht es der Frau Apothekerin, und auch die Ehegattin von unserem Metzger lässt sich nicht lumpen und kauft ab und an bei Carla ein. Ich glaube, Gutscheine laufen am besten.

Bei was Carla aber immer auf dem neuesten Stand ist, ist der Klatsch und Tratsch in unserer 10.000-Seelen-Gemeinde. Man kann sich sicher sein, dass man hier die allerfrischesten Gerüchte und Neuigkeiten erfährt – manchmal sogar, bevor es die Beteiligten selbst wissen. Das ist ein Grund, warum ich Traunbach zum Leben und Wohnen den Rücken gekehrt habe – wenn ich auf einem Fest spätnachts auf einem Feldweg einen Typen geküsst habe, wusste es schon das halbe Dorf, noch bevor ich am nächsten Tag aus der Haustür getreten war. Da braucht man sich gar nicht über Facebook oder Google Streetview aufzuregen – Dorfgossip ist schneller als jeder Satellit oder das Internet.


Carla grinst und lässt sich ein bisschen sehr viel Zeit mit der Antwort auf ihre eigene, rhetorische Frage.

»Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen«, kann sich meine Mutter nicht mehr beherrschen – Frühstückseifrust hin oder her. Da ist sie ganz Frau. Und auch mein Vater spitzt die Ohren – was er natürlich nie zugeben würde.

Carla beugt leicht den Kopf nach vorne und flüstert halblaut über den Frühstückstisch: »Der Sohn vom Müller Heini lässt sich scheiden.«

Meine Mutter merkt, dass ihr ein bisschen der Mund offen steht, und schließt ihn schnell. Dann sagt sie: »Das gibt's ja nicht. Wie lange war denn der jetzt verheiratet? Das ist doch noch keine zwei Jahr her! Und die Yoki Yasmin kam doch erst im August auf die Welt!«

Ich verschlucke mich kurz an meinem Milchkaffee.

»Yoki Yasmin? Mama, die haben ihre Tochter nicht ernsthaft Yoki Yasmin genannt! Wie kommt man denn auf so was!« Mir tut das arme Kind wirklich leid. Wer will denn Yoki Yasmin Müller heißen! Ich sehe sie schon vor mir, wie sie auf dem Schulhof deswegen gehänselt wird. Von Kevin Laurin oder Paul Nikita. Na ja ...

Carla grinst und erläutert:

»Tja, der hatte mal eine japanische Freundin, die Yoki hieß – das hat er seiner Frau aber erst erzählt, als der Name schon in der Geburtsurkunde stand. Und Yasmin hieß die Pille, die sie in der Zeit genommen hat. Offensichtlich aber ohne große Sorgfalt – wie man sieht. Die wollten ja eigentlich auch noch gar keine Kinder.« Carla beißt in ihr Brötchen und kaut.

»Und woher weißt du das schon wieder?«, frage ich belustigt.

»Ach, in meiner Boutique erfahre ich so einiges. Und ein kleiner Seidenschal kostenlos on top schafft Vertrauen. Aber diese Sache weiß ich vom Müller Heini direkt. Als er beim Weihnachtsmarkt schon ein paar Schoppen intus hatte, war er sehr redselig, und da sagte er schon, dass es bei den beiden im Gebälk knirscht ... Gerade bei solchen Gelegenheiten zahlt es sich meist aus, dass ich keinen Alkohol trinke und mich am nächsten Morgen noch an alle Details erinnern kann.« Sie zwinkert mir zu und hat ein Lächeln im Gesicht, das man als schelmisch, aber auch als verschlagen bezeichnen könnte.

»Haben wir bei der Hochzeit auch wieder große Geschenke gemacht?« ist das, was meinem Vater – ganz praktisch denkend – dazu einfällt.

»Ei, was willst du da machen? Die hatten uns auch dreißig Euro im Umschlag, als die Oma gestorben ist. Das hatte ich denen auch. Nee, warte mal. Die wollten ja 'nen Gutschein vom Mediamarkt.« »Drum prüfe sich, wer sich ewig bindet«, schwadroniert mein Vater und ergänzt: »Hoffentlich haben sie die Namen an den Fernseher gebabbt.« Er lässt sich von meiner Mutter noch eine Tasse Kaffee einschenken und erklärt: »Sonst kostet der Scheidungsanwalt mehr, als bei der Hochzeit rumgekommen ist.« Ich löffle die letzten Reste von meinem Frühstücksei aus und habe immer noch keine Ahnung, um wen es eigentlich geht.

»Kenne ich die?«, frage ich in die Runde.

»Hm.« Meine Mutter zieht die Stirn ein bisschen kraus und überlegt. »Der Müller Heini wohnt mit seiner Frau neben dem Schuster Karl in der Rhöngasse. Und der Sohn ist mit der Ingrid in die Schule gegangen. Aber ich glaube, seine Frau ist aus Kassel. Die kennst du nicht.« Gut. Einen Versuch war es wert. Da ich aber weder den Schuster Karl kenne noch im Kopf habe, wer wo in der Rhöngasse wohnt und auch den Schuljahrgang von Ingrid, der Tochter unserer Freunde Bernd und Evi, die mindestens vier Jahr älter ist als ich, nicht aus dem Effeff kenne, hat mir die Erklärung meiner Mutter nicht wirklich weitergeholfen. Aber da auch niemand nachfragt, ob ich es nun wirklich verstanden habe, brumme ich ein »Aha« in meinen Orangensaft und verzichte auf weitere Nachfragen.

Carla hat noch ein paar Neuigkeiten in petto, die meine Mutter noch nicht kannte, und so verplaudern wir die nächste halbe Stunde am Frühstückstisch. Mama kocht zwischendurch Carla ein Ei. Aber nur, weil Papa noch eins will und sie deshalb eh den Eierkocher noch einmal anschmeißen kann, und Carla isst nur die Hälfte davon, was – wie ich dem Gesicht meiner Mutter ansehe – sie noch eine weitere Runde ärgert. Selbst schuld.

Ich kenne nicht mal die Hälfte der Leute, um die es geht, wundere mich aber wirklich, woher Carla das alles weiß. Sie sollte vielleicht besser mit ihrem Dorftratsch handeln als mit ihren Klamotten – das könnte eine lukrative Angelegenheit sein.

Unser Kater Pünktchen kommt auf den Balkon geschlurft. Er streckt sich, macht einen Katzenbuckel und gähnt.

Irgendwann stand mein Vater mit zwei maunzenden Wollknäueln im Arm vor unserer Tür.

»Der Bauer Grimm wollte sie ersäufen. Das kann man doch nicht machen. Die kleinen Dinger.« Meine Mutter war erst gar nicht begeistert, aber schließlich ließ sie sich doch erweichen, und Pünktchen zog mit seiner Schwester bei uns ein. Der graue Kater hatte ein paar weiße Flecken auf der Nase und im Fell, weshalb mein Vater ihn Pünktchen taufte.

»Na, dann heißt der Schwarze aber natürlich Anton«, bestimmte meine Mutter. Es sollte sich zwar noch herausstellen, dass »der Schwarze« eine »Sie« war, aber der Name blieb. So haben wir also seitdem einen Kater Pünktchen und eine Katze Anton.

Pünktchen springt meinem Vater auf den Schoß und schnuppert Richtung Wurstteller. »Das könnte dir so passen. Die gute Wurst«, sagt mein Vater, streckt sich über den Tisch und gibt Pünktchen eine Scheibe Fleischwurst. Ich wundere mich mal wieder, warum bei mir »Nein« immer »Nein« heißt, aber beim Kater »Ja«. Der Kater freut sich und macht sich mit seiner Beute davon in die Küche.

»Was denn? Der arme Kerl! Die Katz soll ja nicht leben wie ein Hund«, sagt mein Vater erklärend, als er den strengen Blick meiner Mutter sieht.

»Der ›arme Kerl' wird noch an Herzverfettung sterben«, sagt meine Mutter nicht so vorwurfsvoll, wie sie gerne gewollt hätte. Wahrscheinlich macht sie sich gerade nur deshalb Vorwürfe, dass sie nicht schneller war und der Kater das Leckerli von meinem Vater statt von ihr bekommen hat. Oder sie hatte ihm schon was in der Küche gegeben.

»So, ich bin dann mal wieder weg, Ihr Lieben«, flötet Carla und erhebt sich. »Danke für das leckere Frühstück. Ich muss jetzt noch mal kurz in die Stadt, bevor ich in mein Lädchen gehe. Ich bin nämlich noch verabredet. Ich bin da einem ganz heißen Gerücht auf der Spur, und mein ›Informant'«, sie sagt das jetzt so verschwörerisch wie in einem Fernsehkrimi, »will sich heute noch mit mir treffen. Wenn das stimmt, was ich schon gehört habe, und er mir jetzt noch die letzten Details erzählt, wird das der Knaller des Jahres. Dann ist aber in Traunbach was los, des sag ich euch! Ciaoiii!«, greift ihren Hut vom Sofa und ist auch schon weg, bevor wir noch nachfragen können.

»Die immer mit ihren ganzen Gerüchten«, sagt mein Vater und ergänzt: »Worte können Waffen sein.« Er ahnt noch nicht, wie richtig er damit bei den kommenden Geschehnissen liegen sollte.

Wo ist Carla?


Meine Mutter holt den Apfelkuchen aus dem Ofen. Er duftet köstlich nach braunem Zucker, der über den reifen Früchten karamellisiert ist, und nach Zimt und Rosinen. Sie verteilt außerdem noch nur leicht angeschlagene Sahne über dem Kuchen und stellt ihn zum Auskühlen auf einen Rost. Niemand backt so einen herrlichen Apfelkuchen wie meine Mutter. Ich stehe in der Küche und würde am liebsten ein noch warmes Stück direkt vom Blech essen, aber meine Mutter haut mir verbal auf die Finger – sie hat offenbar meinen gierigen Blick gesehen. »Wag dich und esse den heißen Kuchen. Das gibt nur Bauchschmerzen.« Wieder so eine Mär, die ich noch nie bestätigt gefunden habe. Warum sollte mir von diesem köstlichen Apfelkuchen schlecht werden? Ich habe auch noch nie Bauchschmerzen bekommen, wenn ich nach dem Verzehr von Kirschen Wasser getrunken habe. Aber vielleicht sollte man das trotzdem auch mal den Eisdielen und Cafés sagen, die warmen Apfelstrudel mit Vanilleeis anbieten. Die machen sich damit ja quasi täglich der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig.


(Continues...)

Excerpted from Ausgeplappert by Katrin Schön. Copyright © 2015 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin. Excerpted by permission of Midnight.
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