Der Großvater nimmt sie mit in die faszinierende Welt der Bienen – und rettet ihr so das Leben. Die Bienen werden Meredith zur Ersatzfamilie: Wenn sie sich verlassen fühlt, zeigen sie ihr, wie man zusammenhält und füreinander sorgt. Wenn sie über ihre depressive Mutter verzweifelt, bewundert sie die Bienen dafür, ihre Königin einfach austauschen zu können. Die Bienen lehren Meredith, anderen zu vertrauen, mutig zu sein und ihren eigenen Weg zu gehen.
»Der Honigbus« ist eine starke Geschichte über das Leben und die Weisheiten der Natur.
Der Großvater nimmt sie mit in die faszinierende Welt der Bienen – und rettet ihr so das Leben. Die Bienen werden Meredith zur Ersatzfamilie: Wenn sie sich verlassen fühlt, zeigen sie ihr, wie man zusammenhält und füreinander sorgt. Wenn sie über ihre depressive Mutter verzweifelt, bewundert sie die Bienen dafür, ihre Königin einfach austauschen zu können. Die Bienen lehren Meredith, anderen zu vertrauen, mutig zu sein und ihren eigenen Weg zu gehen.
»Der Honigbus« ist eine starke Geschichte über das Leben und die Weisheiten der Natur.


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Overview
Der Großvater nimmt sie mit in die faszinierende Welt der Bienen – und rettet ihr so das Leben. Die Bienen werden Meredith zur Ersatzfamilie: Wenn sie sich verlassen fühlt, zeigen sie ihr, wie man zusammenhält und füreinander sorgt. Wenn sie über ihre depressive Mutter verzweifelt, bewundert sie die Bienen dafür, ihre Königin einfach austauschen zu können. Die Bienen lehren Meredith, anderen zu vertrauen, mutig zu sein und ihren eigenen Weg zu gehen.
»Der Honigbus« ist eine starke Geschichte über das Leben und die Weisheiten der Natur.
Product Details
ISBN-13: | 9783104908830 |
---|---|
Publisher: | FISCHER E-Books |
Publication date: | 03/13/2019 |
Sold by: | Bookwire |
Format: | eBook |
Pages: | 320 |
File size: | 7 MB |
Language: | German |
About the Author
Meredith May ist Imkerin in fünfter Generation. In ihrem Memoir »Der Honigbus« erzählt sie von den Lebenslektionen, die sie von den Bienen ihres Großvaters in Big Sur lernte und die für sie die Rettung aus einer schwierigen Kindheit bedeuteten.
May ist eine preisgekrönte Journalistin und Autorin. Sie schreibt für den »San Francisco Chronicle« und gewann den PEN USA Literary Award for Journalism und wurde für den Pulitzer Preis nominiert. Sie lebt in der San Francisco Bay Area und hält dort den letzten Bienenstock ihres inzwischen verstorbenen Großvaters. »Der Honigbus« wird in elf Sprachen übersetzt.
Anette Grube, 1954 in München geboren, hat Amerikanistik studiert. Sie hat u. a. Chimamanda Ngozi Adichie, T. C. Boyle, Vikram Seth und Mordecai Richler ins Deutsche übersetzt.
Meredith May ist Imkerin in fünfter Generation. In ihrem Memoir »Der Honigbus« erzählt sie von den Lebenslektionen, die sie von den Bienen ihres Großvaters in Big Sur lernte und die für sie die Rettung aus einer schwierigen Kindheit bedeuteten.
May ist eine preisgekrönte Journalistin und Autorin. Sie schreibt für den »San Francisco Chronicle« und gewann den PEN USA Literary Award for Journalism und wurde für den Pulitzer Preis nominiert. Sie lebt in der San Francisco Bay Area und hält dort den letzten Bienenstock ihres inzwischen verstorbenen Großvaters. »Der Honigbus« wird in elf Sprachen übersetzt.
Anette Grube, 1954 in München geboren, hat Amerikanistik studiert. Sie hat u. a. Chimamanda Ngozi Adichie, T. C. Boyle, Vikram Seth und Mordecai Richler ins Deutsche übersetzt.
Read an Excerpt
CHAPTER 1
Prolog
Schwarm
1980
Eine Bienenlektion in Tapferkeit
Die Schwarmzeit kündigte sich immer über das Telefon an. Jedes Frühjahr erwachte das rote Wählscheibentelefon zum Leben, weil verzweifelte Anrufer Honigbienen in ihren Mauern, Kaminen oder Bäumen meldeten.
Ich verteilte Grandpas Honig auf meinem Maisbrot, als er aus der Küche kam, mit diesem schlitzohrigen Lächeln, das besagte, dass wir unser Frühstück wieder einmal würden stehenlassen müssen. Ich war zehn und hatte fast mein halbes Leben lang Bienenschwärme mit ihm eingefangen, deswegen wusste ich, wie es weitergehen würde. Er trank seinen Kaffee in einem Zug aus und fuhr sich mit dem Arm über den Schnurrbart.
»Wir haben wieder einen«, sagte er.
Dieses Mal stammte der Anruf von einem privaten Tennisclub, ungefähr eine Meile entfernt an der Carmel Valley Road. Als ich mich auf den Beifahrersitz seines klapprigen Pick-ups setzte, trat er mehrmals aufs Gaspedal, um ihn anzulassen. Schließlich sprang der Motor an, und wir fuhren kreischend aus der Einfahrt und wirbelten Kies auf. Er raste an den Schildern mit der Geschwindigkeitsbegrenzung vorbei, auf denen fünfundzwanzig stand, wie ich von Fahrten mit Granny wusste. Wir mussten uns beeilen, um den Schwarm zu erwischen, weil den Bienen womöglich einfallen könnte, woanders hinzufliegen.
Grandpa schlingerte auf das Gelände des Tennisclubs und trat neben einem Weidezaun auf die Bremse. Er stemmte sich mit der Schulter gegen die klemmende Tür und drückte sie ächzend auf. Wir traten in einen Minizyklon aus Bienen, ein laut brummender Tintenfleck am Himmel, der wie ein Vogelschwarm nach links und rechts abdrehte. Mein Herz raste mit ihnen, ängstlich und ehrfürchtig zugleich. Die Luft schien zu pulsieren.
»Warum tun sie das?«, rief ich über den Lärm.
Grandpa ging auf ein Knie und neigte sich zu meinem Ohr.
»Die Königin hat den Stock verlassen, weil es drin zu eng wurde«, erklärte er. »Die Bienen sind ihr gefolgt, weil sie ohne sie nicht leben können. Sie ist die einzige Biene im Volk, die Eier legt.«
Ich nickte, um Grandpa zu zeigen, dass ich verstanden hatte.
Der Schwarm hatte sich einem Kastanienbaum genähert. Alle paar Sekunden löste sich eine Handvoll Bienen aus dem Schwarm und verschwand zwischen den Blättern. Ich trat näher, schaute hinauf und sah, dass sich die Bienen als Ball, ungefähr so groß wie eine Orange, an einem Ast sammelten. Mehr Bienen dockten an, bis die Kugel so groß wie ein Basketball war und pulsierte wie ein Herz.
»Die Königin ist dort gelandet«, sagte Grandpa. »Die Bienen beschützen sie.« Als sich die letzten Bienen der Gruppe angeschlossen hatten, wurde es still.
»Warte beim Wagen auf mich«, flüsterte Grandpa.
Ich lehnte mich an die vordere Stoßstange und sah zu, wie er auf eine Stehleiter stieg, bis er mit dem Kopf auf gleicher Höhe mit dem Schwarm war. Dutzende Bienen krochen über seinenackten Arme, während er anfing, mit einer Säge den Ast abzusägen. In diesem Augenblick ließ ein Platzwart einen Rasenmäher an, die Bienen erschraken und flogen in Panik auf. Ihr Summen wurde zu einem durchdringenden Heulen, und sie schlossen sich zu einem engeren, schnellen Kreis zusammen.
»Verdammt nochmal!«, hörte ich Grandpa fluchen.
Er rief dem Platzwart etwas zu, und der Rasenmäher verstummte. Während Grandpa darauf wartete, dass sich der Schwarm erneut am Baum sammelte, spürte ich, wie mir etwas über den Kopf krabbelte. Ich langte hinauf und berührte Flaum, dann spürte ich, wie sich Flügel und kleine Beinchen in meinem Haar verfingen. Ich warf den Kopf hin und her, um die Biene abzuschütteln, aber sie verhedderte sich nur noch mehr und wurde verzweifelter, ihr Summen steigerte sich in die hohe Tonlage eines Zahnbohrers. Ich holte mehrmals tief Luft, um mich für das zu wappnen, von dem ich wusste, dass es kommen würde.
Als die Biene ihren Stachel in meine Haut bohrte, raste der brennende Schmerz von meiner Kopfhaut in meine Backenzähne, und ich biss die Kiefer zusammen. Ich tastete erneut hektisch mein Haar ab und erstickte einen Schrei, als ich eine zweite Biene darin fand, dann noch eine. Angst breitete sich weiter und weiter in meinem Brustkasten aus, als ich mehr pelzige Körper spürte, als ich zählen konnte, ein kleines Geschwader Honigbienen, die mit der gleichen Angst zu kämpfen hatten wie ich.
Dann roch ich Bananen – den Geruch, den Bienen verströmen, um nach Unterstützung zu rufen –, und ich wusste, dass ich angegriffen wurde. Ich spürte einen brennenden Stich an meinem Haaransatz, gefolgt von einem heftigen Schmerz hinter dem Ohr, und ich ging auf die Knie. Ich wurde ohnmächtig, oder vielleicht betete ich auch. Ich dachte, dass ich womöglich sterben würde. Innerhalb von Sekunden hielt Grandpa meinen Kopf in den Händen.
»Versuch, dich ganz still zu halten«, sagte er. »Da sind noch fünf drin. Ich hole sie alle raus, aber vielleicht wirst du noch mal gestochen.«
Eine weitere Biene stach mich. Jeder Stich verstärkte den Schmerz, bis sich mein Kopf anfühlte, als würde er lichterloh brennen, und ich griff nach dem Autoreifen und hielt mich daran fest.
»Wie viele sind es noch?«, flüsterte ich.
»Nur noch eine«, sagte er.
Als es vorbei war, nahm mich Grandpa in die Arme. Ich legte meinen pochenden Kopf an seine Brust, die muskelbepackt war, weil er sein Leben lang fast fünfzig Pfund schwere Bienenstöcke voller Honig gehoben hatte. Er legte mir sanft die schwielige Hand in den Nacken.
»Schnürt sich dir die Kehle zu?«
Ich atmete so tief ein und aus, wie ich konnte. In meinen Lippen prickelte es seltsam.
»Warum hast du mich nicht gerufen?«, fragte er.
Ich hatte keine Antwort darauf. Ich wusste es nicht.
Meine Beine zitterten, und ich ließ mich von Grandpa zum Wagen tragen und auf die Sitzbank legen. Ich war früher schon gestochen worden, aber nie von so vielen Bienen auf einmal, und Grandpa machte sich Sorgen, dass mein Körper in einen Schockzustand fiel. Sollte mein Gesicht anschwellen, sagte er, müsste ich in die Notaufnahme. Er wies mich an zu hupen, sollte ich keine Luft mehr kriegen, und ich wartete, bis er den Ast fertig abgesägt hatte. Er schüttelte die Bienen in einen weißen Kasten aus Holz und trug ihn zur Ladefläche des Pickups, während ich die heißen Schwellungen auf meinem Kopf betastete. Sie waren fest und hart, und sie schienen größer zu werden. Ich hatte Angst, dass mein Kopf bald so aufgebläht wäre wie ein Kürbis.
Grandpa stieg ein und ließ den Motor an.
»Einen Moment«, sagte er, nahm meinen Kopf in die Hände und fuhr mit den Fingern über die Kopfhaut. Ich zuckte zusammen, als würde er Murmeln in meinen Schädel drücken.
»Einen habe ich übersehen«, sagte er und zog einen schmutzigen Fingernagel seitlich über meine Kopfhaut, um den Stachel zu entfernen. Er erklärte immer, dass es falsch war, den Stachel zwischen Daumen und Zeigefinger herauszudrücken, weil er dann das gesamte Gift in den Stich abgab. Er hielt mir die Handfläche hin, um mir den Stachel mit der stecknadelgroßen Giftblase zu zeigen, die noch daran hing.
»Sie arbeitet noch«, sagte er und deutete auf das weiße Organ, das Gift pumpte und nicht wusste, dass seine Dienste nicht mehr gebraucht wurden. Es war ekelhaft und erinnerte mich an ein Huhn, das ohne Kopf herumlief, und ich rümpfte die Nase. Er warf ihn aus dem Fenster und schaute mich dann erfreut an, als hätte ich ihm gerade mein Zeugnis mit lauter Einsern gezeigt.
»Du warst sehr tapfer. Du bist nicht ausgerastet und so.«
Mein Herz schlug Räder in meinem Brustkasten, und ich war stolz auf mich, weil ich mich von den Bienen hatte stechen lassen, ohne wie ein Mädchen zu schreien.
Wieder zu Hause, stellte Grandpa den Kasten mit den Bienen neben seine Sammlung von einem halben Dutzend Bienenstöcken an den Zaun hinten im Garten. Der Schwarm gehörte jetzt uns und würde sich bald an sein neues Zuhause gewöhnen. Bienen flitzten bereits aus dem Eingang und flogen in kleinen Kreisen herum, um die neue Umgebung zu erkunden und sich Orientierungspunkte einzuprägen. In ein paar Tagen würden sie Honig produzieren.
Als ich zusah, wie Grandpa Zuckerwasser für sie in ein Einweckglas füllte, dachte ich darüber nach, dass er gesagt hatte, die Bienen würden der Königin folgen, weil sie ohne sie nicht leben konnten. Sogar Bienen brauchten ihre Mutter.
Die Bienen in dem Tennisclub hatten mich angegriffen, weil ihre Königin aus dem Stock geflüchtet war. Sie war verletzlich, und sie versuchten, sie zu beschützen. Verrückt vor Sorge, hatten sie das erste Ziel angegriffen, das sich ihnen in den Weg stellte – mich.
Vielleicht hatte ich deswegen nicht geschrien. Weil ich sie verstand. Bienen verhalten sich manchmal wie Menschen – sie haben Gefühle, und manche Dinge jagen ihnen Angst ein. Man sieht, dass es so ist, wenn man ganz stillhält und beobachtet, wie sie sich bewegen, ob sie auf der Wabe mühelos zusammenströmen wie Wasser oder ob sie zitternd darüber rennen, als würde es sie überall jucken. Bienen brauchen die Wärme einer Familie; eine einzelne Biene überlebt die Nacht wahrscheinlich nicht. Wenn ihre Königin stirbt, rennen Arbeiterbienen verzweifelt durch den Stock und suchen nach ihr. Das Volk schrumpft, und die Bienen werden mutlos und niedergeschlagen, kriechen langsam durch den Stock, statt Nektar zu sammeln, schlagen die Zeit tot, bevor die Zeit sie umbringt.
Ich kannte das nagende Bedürfnis nach einer Familie. An einem Tag hatte ich eine, dann war sie über Nacht nicht mehr da.
Kurz vor meinem fünften Geburtstag ließen sich meine Eltern scheiden, und ich fand mich plötzlich an der anderen Küste wieder, in Kalifornien, beengt in einem Schlafzimmer mit meiner Mutter und meinem kleinen Bruder im winzigen Haus meiner Großeltern. Meine Mutter schlüpfte unter die Bettdecke und in eine endlos andauernde Melancholie, und mein Vater wurde nie wieder erwähnt. In der leeren Stille, die folgte, versuchte ich zu verstehen, was passiert war. Während meine Liste von Fragen an das Leben länger wurde, wusste ich nicht, wer sie mir beantworten würde.
Ich begann, Grandpa überallhin zu folgen, stieg morgens in seinen Pick-up und fuhr mit ihm zur Arbeit. So begann mein Unterricht bei den Bienen von Big Sur, wo ich lernte, dass ein Bienenstock um ein Prinzip kreiste – die Familie. Grandpa lehrte mich die verborgene Sprache der Bienen, die Bedeutung ihrer Bewegungen und Geräusche, das Unterscheiden zwischen den verschiedenen Gerüchen, die sie absondern, um mit Gefährtinnen aus dem Stock zu kommunizieren. Seine Geschichten über die Shakespeare'schen Plots in einem Volk, das die Königin absetzen will, und über die Hierarchie von Aufgaben trugen mich fort in ein geheimes Reich, wenn die Situation in meinem eigenen zu schwierig wurde.
Je mehr ich im Lauf der Zeit über die innere Welt der Honigbienen erfuhr, umso mehr verstand ich die äußere Welt der Menschen. Während meine Mutter tiefer in Verzweiflung versank, vertiefte sich mein Verhältnis zur Natur. Ich lernte, wie sich Bienen umeinander kümmern und hart arbeiten, wie sie demokratisch entscheiden, wo sie nach Futter suchen und wann sie schwärmen sollen, und wie sie für die Zukunft planen. Ihre Stacheln lehrten mich, was es heißt, tapfer zu sein.
Ich fühlte mich von den Bienen angezogen, weil ich ahnte, dass die Stöcke uralte Weisheiten enthielten und mich Dinge lehren würden, die meine Eltern mir nicht beibringen konnten. Von den Honigbienen, einer Spezies, die die letzten 100 Millionen Jahre überlebt hat, lernte ich durchzuhalten.
CHAPTER 2Fluchtweg
Februar 1975
Eine Bienenlektion in Umsiedelung
Ich habe nicht gesehen, wer sie geworfen hat.
Die Pfeffermühle flog in einem schrecklichen Bogen über den Esstisch und landete mit einer Explosion schwarzer Pfefferkörner auf dem Küchenboden. Entweder versuchte meine Mutter, meinen Vater umzubringen, oder umgekehrt. Es wäre möglich gewesen, hätte er oder sie besser gezielt, denn es war eine dieser schweren Mühlen aus dunklem Holz, länger als mein Unterarm.
Wenn ich hätte raten müssen, hätte ich auf Mom getippt. Sie ertrug das Schweigen in ihrer Ehe nicht mehr, und um seine Aufmerksamkeit zu erregen, warf sie nach ihm, was immer sich in ihrer Reichweite befand. Sie riss Vorhänge von der Stange, schleuderte Matthews Bausteine an die Wand und warf Geschirr auf den Boden, damit wir wussten, dass sie es ernst meinte. Auf diese Weise weigerte sie sich, unsichtbar zu werden. Es funktionierte. Ich lernte, den Rücken immer der Wand zuzuwenden und sie nicht aus den Augen zu lassen.
An diesem Abend verströmte ihr Körper die aufgestaute Wut in Wellen, ihre alabasterweiße Haut glühte rosa. Ein vertrauter Schrecken sammelte sich in meinem Bauch, während ich den Atem anhielt und die Tapete studierte, auf der sich Efeu um Kupferkessel und Nudelhölzer rankte. Ich hatte Angst, dass schon das leiseste Geräusch meinerseits den unsichtbaren weißglühenden Strahl zwischen meinen Eltern auf mich lenken und eine weiße Rauchwolke zurücklassen würde, wo zuvor ein fünfjähriges Mädchen gesessen hatte. Ich kannte diese Ruhe vor dem Sturm, dieses kurze Innehalten des erhobenen Bestecks vor dem verbalen Zusammenstoß. Niemand rührte sich, nicht einmal mein zwei Jahre alter Bruder, der erstarrt vor seinen Cheerios auf dem Hochstuhl saß. Dad legte ruhig die Gabel ab und fragte Mom, ob sie vorhabe, das Chaos aufzuräumen.
Mom ließ die Papierserviette in ihr unberührtes Abendessen fallen; wir aßen wieder einmal amerikanisches Chop Suey – ein billiger Mischmasch aus Hörnchennudeln, Rinderhack und was immer für ein Dosengemüse wir hatten, darüber Tomatensoße. Sie zündete sich ganz langsam eine Zigarette an und blies Rauch in Dads Richtung. Ich rechnete damit, dass er wie üblich in seiner ganzen Größe vom Stuhl aufstehen, ins Wohnzimmer verschwinden und die Beatles so laut aufdrehen würde, dass er sie nicht mehr hören konnte. Doch an diesem Abend blieb er sitzen, verschränkte die Arme und starrte Mom durch den Rauch aus seinen kohlefarbenen Augen an. Sie stippte die Asche auf ihren Teller, ohne den Blick von ihm zu wenden. Er sah ihr zu, Ekel ins Gesicht graviert.
»Du hast versprochen aufzuhören.«
»Ich hab's mir anders überlegt«, sagte sie und inhalierte so tief, dass ich den Tabak knistern hörte.
Dad schlug auf den Tisch, dass das Besteck klimperte. Mein Bruder erschrak, dann fiel ihm das Kinn nach unten und er atmete stoßweise, während er in ein Ganzkörperschreien ausbrach. Mom blies wieder Rauch in Dads Richtung und kniff die Augen zusammen. Meine Nerven hüpften wie Wassertropfen in einer heißen Bratpfanne, während ich nervös mit den Fingern auf den Oberschenkel tippte und die Sekunden zählte, bis einer von beiden aufsprang. Als ich bei sieben war, bemerkte ich, wie sich Moms Mundwinkel zu einem sarkastischen Lächeln verzogen. Sie drückte die Zigarette in ihrem Teller aus, stand auf, ging um die Pfefferkörner und stapfte in die Küche. Ich hörte, wie sie mit Töpfen knallte und dann einen Deckel, der zu Boden fiel und ein paarmal klapperte, bevor er liegen blieb. Sie hatte etwas vor, und das war nie gut.
Mom kehrte mit einem warmen, dampfenden Topf an den Tisch zurück. Sie hob ihn über den Kopf, und ich schrie auf, weil ich Angst hatte, dass sie Dad verbrühen würde. Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und forderte sie heraus, den Topf zu werfen. Mir drehte sich der Magen um, als hätten sich der Tisch und die Stühle plötzlich vom Boden erhoben und kreisten so schnell wie ein Teetassen-Karussell.
Ich schloss die Augen und wünschte mir eine Zeitmaschine, die mich in das Jahr zuvor zurückbringen würde, als meine Eltern noch miteinander redeten. Wenn ich nur genau den Zeitpunkt festmachen könnte, als alles schiefging, könnte ich es irgendwie richten und diesen Tag verhindern. Vielleicht würde ich ihnen die vergessene Schachtel mit Dias im Keller zeigen, den Beweis, dass sie sich einmal geliebt hatten. Als ich die kartongefassten Quadrate zum ersten Mal ins Sonnenlicht hielt, sah ich, dass Moms Gesicht einst gelacht hatte, und sie hatte kurze Kleider und glänzende weiße Stiefel getragen und Zigaretten durch einen langen Stab geraucht wie ein Filmstar. Sie hatte noch immer den kurzen Haarschnitt, aber damals war das Rot einen Ton heller gewesen, und ihre Augen wirkten grüner. Auf jedem Dia lächelte Mom oder zwinkerte Dad über die Schulter zu. Er machte die Fotos kurz nachdem sie ihm aufgefallen war, als sie sich für Kurse am Monterey Peninsula College einschrieb. Er lud sie zu einer Autofahrt die Küste hinunter nach Big Sur ein.
Er hatte sie im Sommer schon auf ein paar Partys gesehen. Sie war diejenige mit dem lauten Lachen, die Witzige, die naturgegeben immer ein Publikum im Schlepptau hatte. Er bemerkte, wie mühelos sie sich unter Fremden bewegte, und das holte meinen stillen Vater aus der Ecke. Er war dazu erzogen worden, nur etwas zu sagen, wenn jemand ihn ansprach, und studierte die Leute, bevor er sich entschloss, mit ihnen zu reden. Das umgab ihn in den Augen meiner Mutter mit einem kleinen Geheimnis, und sie fühlte sich herausgefordert, den großen Fremden mit dem dramatisch spitzen Haaransatz und den rauchigen Augen aus sich herauszuholen. Als er ihr von seinem Plan erzählte, zur Marine zu gehen und ins Ausland zu reisen, war Mom, die noch nie außerhalb von Kalifornien gewesen war, restlos begeistert.
(Continues…)
Excerpted from "Der Honigbus"
by .
Copyright © 2019 Meredith May.
Excerpted by permission of S. Fischer Verlag.
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Table of Contents
[Motto],
Schwarm,
Fluchtweg,
Der Honigbus,
Die geheime Sprache der Bienen,
Heimkehr,
Die Königin von Big Sur,
Der Bienenhalter,
Der falsche Großvater,
Die erste Ernte,
Alleinreisendes Kind,
Faulbrut,
Eltern ohne Partner,
Das soziale Insekt,
Heißes Wasser,
Bienentanz,
Verstreuter Zucker,
Epilog,
Anmerkung der Autorin,
Dank,
Lesevorschläge,