Große Träume

Große Träume

by Karen Kingsbury
Große Träume

Große Träume

by Karen Kingsbury

eBook1., Auflage (1., Auflage)

$15.25 

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Overview

Chase Ryan und Keith Ellison träumen davon, christliche Filme zu produzieren, die die Herzen der Zuschauer für immer verändern. Ist das in der Glitzerwelt Hollywoods überhaupt möglich? Mit großem Gottvertrauen beginnen sie ihr erstes Werk, doch das Projekt steht von Anfang an kurz vor dem Aus ... Keiths Tochter Andi hat ganz andere Sorgen. Als Missionarstochter im Dschungel aufgewachsen, genießt sie jetzt das aufregende Studentenleben. Die Zweifel an ihrem einst so tiefen Glauben an Jesus wachsen immer mehr. Kann ihre Freundin Bailey Flanigan sie überzeugen, wie gefährlich das Spiel mit dem Feuer ist, auf das Andi sich eingelassen hat?

Karen Kingsbury war Journalistin bei der Los Angeles Times. Seit einiger Zeit widmet sie sich ganz dem Schreiben christlicher Romane. Sie lebt mit ihrem Mann, 3 eigenen und 3 adoptieren Kindern in Washington.

Product Details

ISBN-13: 9783868278903
Publisher: Francke-Buch
Publication date: 01/01/2014
Series: Mission Hollywood
Sold by: CIANDO
Format: eBook
Pages: 288
File size: 641 KB
Language: German

About the Author

About The Author
Karen Kingsbury war Journalistin bei der Los Angeles Times. Seit einiger Zeit widmet sie sich ganz dem Schreiben christlicher Romane. Sie lebt mit ihrem Mann, 3 eigenen und 3 adoptieren Kindern in Washington.

Read an Excerpt

Kapitel 1 Chase Ryan fragte sich, ob genug Sauerstoff im Flugzeug war, um ihn von San Jose nach Indianapolis zu bringen. Er setzte sich auf den Fensterplatz in der Boeing 737, schob seine Laptoptasche vor sich auf den Boden und schloss die Augen. Tief durchatmen, sagte er sich. Ruhe bewahren. Aber die Aufgabe, die ihn erwartete, raubte ihm seinen inneren Frieden. Am Montag würden Chase und sein bester Freund Keith Ellison in Bloomington, Indiana, mit der Arbeit anfangen und zwei Millionen Dollar ausgeben, die andere Leute investiert hatten, um einen Film zu drehen, von dem sie hofften, dass er das Leben seiner Zuschauer verändern würde. Selbst in den seltenen Momenten, in denen dieser Gedanke ihn nicht in Panik versetzte, konnte Chase die leise, besorgte Stimme seiner Frau Kelly hören, die ihm die Realität vor Augen hielt: „Nur zwei Millionen Dollar, Chase? Im Ernst?“ Auf dem Weg zum Flughafen hatte sie wieder damit angefangen. Mit weiß vortretenden Fingerknöcheln umklammerte sie das Lenkrad. „Und wenn euch das Geld ausgeht, bevor der Film fertig gedreht ist?“ „Das wird nicht passieren.“ Chase richtete den Blick eisern nach vorne. „Keith und ich kennen das Budget.“ „Und wenn es nicht so läuft, wie ihr geplant habt?“ Ihr Körper war angespannt, die Augen voller Angst. Sie warf ihm schnelle, nervöse Blicke zu. „Falls etwas schiefläuft, werden wir den Rest unseres Lebens die Schulden dafür abzahlen.“ Sie hatte recht, aber das wollte er nicht zugeben. Es war zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Die Schauspieler sollten in zwei Tagen am Set eintreffen, und die ganze Filmcrew wäre ab morgen in Bloomington. Das Projekt hatte begonnen, die ersten Rechnungen mussten bezahlt werden. Ihnen blieb keine andere Wahl als weiterzumachen und in ihrem Budgetrahmen zu bleiben. Sie mussten Gott vertrauen, dass sie diesen Film für zwei Millionen Dollar drehen und ihre Botschaft vom Glauben an Gott besser und eindrücklicher vermitteln konnten als jeder andere Film, der je gedreht worden war. Einen Misserfolg konnten sie sich einfach nicht leisten. Sie kamen am Flughafen an, aber bevor sie Chase aussteigen ließ, drehte Kelly sich noch einmal zu ihm herum, tiefe Sorgenfalten zwischen den Augenbrauen. Sie war erst einunddreißig, aber in letzter Zeit sah sie älter aus. Vielleicht lag es daran, dass sie anscheinend nur noch lächelte, wenn sie mit ihren zwei kleinen Töchtern Macy und Molly spielte. Sorgen schwangen in ihrer Stimme mit. „Vier Wochen?“ „Hoffentlich weniger.“ Er weigerte sich, etwas anderes als Optimismus zuzulassen. „Du rufst an?“ „Natürlich. Jeden Tag.“ Chase schaute sie an und die bekannte Liebe zu ihr regte sich in seinem Herzen. Aber früher war sie nie so besorgt gewesen. Er brauchte jetzt den Glauben, den sie gezeigt hatte, als sie in Indonesien gelebt hatten. „Entspann dich, Schatz. Bitte.“ „Ich versuche es.“ Sie seufzte laut und verkniff sich nur mühsam einen zweiten Seufzer. „Warum habe ich solche Angst?“ Er fühlte mit ihr. „Kelly.“ Seine Worte waren leiser als vorher und er versuchte verzweifelt, sie mit seinem ruhigen Tonfall zu überzeugen. „Glaub an mich. Glaub an diesen Film. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich das brauche.“ „Ich versuche es.“ Sie schaute nach unten, und es dauerte eine Weile, bis sie den Kopf hob und ihn wieder ansah. „In Indonesien war es einfacher. Wenigstens war im Dschungel die Mission leichter.“ „Leichter?“ Er schmunzelte, jedoch ohne Humor. „Indonesien war nie leicht. Wir hätten jederzeit verhaftet oder getötet werden können. Wir hätten uns mit Malaria oder zig anderen Krankheiten anstecken können. Jeder Tag barg dieses Risiko in sich.“ Die Falten in ihrem Gesicht entspannten sich ein wenig, als ein Lächeln um ihre Lippen spielte. Sie berührte mit dem Finger sein Gesicht. „Wenigstens hatten wir einander.“ Sie schaute ihm tief in die Augen und küsste ihn. „Ehrlich, Chase. Du musst doch sehen, warum ich mir Sorgen mache. Es ist nicht nur das Geld.“ Er hatte einen schnellen Blick auf seine Uhr geworfen. „Du hast Angst, dass wir nicht rechtzeitig fertig werden und dass wir dadurch unser Budget überziehen und …“ „Nein.“ Sie erhob nicht die Stimme, aber die Angst in ihren Augen hinderte ihn daran weiterzusprechen. „Siehst du es denn nicht?“ Verlegenheit lag in ihren Worten. „Du bist jung und attraktiv und begabt …“ Ihr Lächeln war jetzt traurig. „Du arbeitest mit schönen Schauspielerinnen und Filmleuten zusammen und … Ich weiß auch nicht, das alles macht mir Angst.“ Sie rückte nicht mit der Sprache heraus und gestand nicht ihre tieferen Gefühle, die sie ihm eine Woche vorher anvertraut hatte: dass sie das Gefühl hatte, mit den Leuten aus Hollywood nicht mithalten zu können. Chase litt mit ihr und war wegen ihres mangelnden Selbstvertrauens frustriert. „Hier geht es nicht um die Filmindustrie. Es geht um ein größeres Missionsfeld als damals in Indonesien.“ Er schob die Finger in ihre dichten, dunklen Haare, zog sie an sich heran und küsste sie noch einmal. „Vertrau mir, Schatz. Bitte.“ Dieses Mal widersprach sie ihm nicht, aber die Sorge in ihren Augen blieb, als er seine Taschen nahm und vom Auto wegtrat. Er schrieb ihr eine SMS, als er durch die Sicherheitskontrolle gegangen war, und versicherte ihr noch einmal, dass er sie liebe und dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche. Aber sie antwortete nicht. Obwohl er dringend Schlaf gebraucht hätte, konnte er ihren besorgten Blick und Tonfall immer noch nicht von sich abschütteln. Und wenn Kellys Ängste eine Art Vorahnung in Bezug auf den Film waren? Vielleicht benutzte Gott sie, um Keith und ihm zu sagen, dass sie die Sache abblasen sollten, bevor sie alles verloren. Sobald er im Flugzeug saß, legte er den Sicherheitsgurt an und starrte aus dem Fenster. Im Gegensatz dazu stand Keiths Frau voll und ganz hinter ihren Plänen. Ihr Vater war sogar einer der Investoren. Außerdem studierte Keiths Tochter Andi seit Kurzem an der Universität von Indiana in Bloomington. Durch die Dreharbeiten würde Keith ein wenig Andis neues Lebensumfeld kennenlernen, wofür er sehr dankbar war. Andi wollte Schauspielerin werden, und ihre Mitbewohnerin studierte anscheinend Theater. Beide Studentinnen sollten in ihrem Film Statistenrollen bekommen. Keiths gesamte Familie konnte es also kaum erwarten, dass die Dreharbeiten begannen. Chase biss sich auf die Unterlippe. Von Anfang an waren alle Sorgen wegen des Films nur von ihm und Kelly gekommen, aber jetzt, da er nach Indiana unterwegs war, durfte Chase sich nicht von seinen Ängsten gefangen nehmen lassen. Er musste sich voll und ganz auf den Film konzentrieren. Er ignorierte den Stein in seinem Magen, während er sich an das kalte, harte Plastik lehnte, das das Flugzeugfenster umrahmte. Der Film, den sie drehten, hatte den Titel Der letzte Brief und handelte von einem Studenten, dessen Leben aus dem Gleichgewicht geworfen wird, als sein Vater einen plötzlichen, tödlichen Herzinfarkt erleidet. Der Student ist nicht sicher, wie er weiterleben soll, bis seine Mutter ihm einen Brief zeigt. Einen letzten Brief von seinem Vater. Dieser Brief führt Braden auf eine Entdeckungsreise, bei der er erkennt, wie wichtig Glauben und Familie sind, und schließlich in eine strahlende Zukunft, von der Braden vorher keine Ahnung hatte. Die Geschichte war ein Gleichnis, eine Illustration des Verses in Jeremia 29,11: „Denn ich allein weiß, was ich mit euch vorhabe: Ich, der Herr, werde euch Frieden schenken und euch aus dem Leid befreien. Ich gebe euch wieder Zukunft und Hoffnung.“ Chase hatte keinen Zweifel daran, dass dieser Vers sie an jedem Tag der Dreharbeiten begleiten würde. Er schloss die Augen. Fast konnte er schon die Filmmusik hören, die in ihm die Gefühle hervorrief, die die Kinobesucher erleben würden. Er konnte die Bilder sehen, die über die große Leinwand tanzten, und malte sich aus, wie seine größten Erwartungen übertroffen wurden. Aber der Weg dorthin führte vielleicht über eine Million Meilen steiniger, beschwerlicher Straßen voller Schlaglöcher. Sie standen immer noch am Gate und warteten darauf, dass das Flugzeug zur Startbahn rollte. Chase blinzelte und starrte aus dem Fenster zum blauen Himmel über dem Flughafen hinauf. Jeden Tag war der Himmel in dieser Woche wolkenlos blau gewesen, was Chase und Keith als sehr passend empfunden hatten. Denn trotz Kellys Ängsten und trotz des ganzen Drucks, den diese Entscheidung mit sich brachte, war der Moment gekommen, von dem Chase und Keith schon so lange träumten und den sie genau geplant hatten – der Höhepunkt ihrer jahrelangen Überzeugung, dass Gott sie benutzen wollte, um die Welt zu verändern. Nicht auf einem Missionsfeld in Indonesien, sondern in vollen Kinos in ganz Amerika. „Oak River Films“ nannten sie sich. Diesen Namen hatten sie aus dem ersten Psalm abgeleitet, der ihnen sehr wichtig war. Chase hatte die ersten drei Verse vor langer Zeit auswendig gelernt: Glücklich ist, wer nicht lebt wie Menschen, die von Gott nichts wissen wollen. Glücklich ist, wer sich kein Beispiel an denen nimmt, die gegen Gottes Willen verstoßen. Glücklich ist, wer sich fern hält von denen, die über alles Heilige herziehen. Glücklich ist, wer Freude hat am Gesetz des Herrn und darüber nachdenkt – Tag und Nacht. Er ist wie ein Baum, der nah am Wasser steht, der Frucht trägt jedes Jahr und dessen Blätter nie verwelken. Was er sich vornimmt, das gelingt. Oak River Films. Mit diesem Namen sollte deutlich werden, dass alles, was er und Keith unternahmen, in der Freude an Gott wurzelte und in dem Glauben, dass sie für Jesus Frucht bringen wollten, wenn sie ihre Projekte nah an seinem lebendigen Wasser pflanzten. Chase rutschte auf seinem Sitz vor. Er wiederholte diese Bibelstelle noch einmal im Geiste. Warum machte er sich um das, was vor ihnen lag, so große Sorgen? Er glaubte doch, dass Gott sie nach Indiana schickte, um diesen Film zu drehen, nicht wahr? Er drückte sich auf den dünn gepolsterten Sitz. Atme. Beruhige dich und atme. Dieser Film würde in der Welt der Hollywoodfilmproduktionen für sie alles entscheiden. Das sei kein Problem, hatte er sich gesagt, als sie mit diesem Abenteuer begonnen hatten. Aber je näher der Flug nach Indiana gerückt war, umso stärker war der Druck gewachsen. Sie hatten gut gemeinte Anrufe von Investoren bekommen, die fragten, wie die Arbeit lief, oder die sich erkundigten, wann die Dreharbeiten begannen. Sie waren nicht nervös und zweifelten nicht daran, dass ihr Geld bei Chase und Keith in guten Händen war; sie waren einfach neugierig. Genauso wie alle, die mit dem Film zu tun hatten, neugierig waren. Keith erledigte diese ganzen Telefonanrufe. Er war der ruhigere von ihnen. Sein Glaube war grenzenlos. Es war Keiths Entscheidung gewesen, den Film mit Geld von Investoren zu drehen, statt sich an ein Studio zu verkaufen. Produzenten, die ihre Projekte selbst zahlten, behielten die inhaltliche Kontrolle über den Film, und Chase und Keith wollten die Botschaft ihres ersten Films von niemand verändern lassen. Sie ließen sich auch nicht davon beirren, wie leicht sie Geld von einem Studio bekommen könnten. Doch in manchen Momenten machte sich Chase um alles Sorgen. Um seine Frau und seine kleinen Mädchen zu Hause und darum, ob das Produktionsteam den ehrgeizigen Drehplan einhalten könnte, den sie aufgestellt hatten. Er massierte sich mit dem Daumen die Stirn. Seine Sorgenliste war endlos lang. Er müsste mit Schauspielern fertigwerden, die ein starkes Ego hatten, unter anderem mit einer Schauspielerin, die den Oscar gewonnen hatte, und mit zwei anderen bekannten Stars – beide standen in dem Ruf, talentiert, aber schwierig zu sein. Er musste dafür sorgen, dass alle gut zusammenarbeiteten und sich an ihren Vier-Wochen-Plan hielten, und er durfte das aufgestellte Budget nicht überziehen. Er machte sich Sorgen, dass weder Geld noch Zeit ausreichte und er fragte sich, ob Gott wirklich von ihnen wollte, dass sie in einer so verrückten Welt wie Hollywood arbeiteten. Chase atmete tief ein und langsam wieder aus. Die weißhaarige Frau neben ihm las in einer Zeitung, aber sie warf hin und wieder einen Blick in seine Richtung. Wahrscheinlich suchte sie nach einer Gelegenheit zu einem Gespräch. Chase stand der Sinn nicht danach, sich nicht unterhalten. Er schaute wieder aus dem Fenster, und ein Bild tauchte vor seinem geistigen Auge auf: das Bild von einem Apartmentgebäude, das mit Absperrbändern abgeriegelt war. Die Erinnerung stammte aus seiner Schulzeit im San Fernando Valley, als ein großes Erdbeben Südkalifornien getroffen hatte. Der angerichtete Schaden war groß gewesen, aber ein bestimmtes Apartmenthaus hatte es am schlimmsten getroffen. Innerhalb weniger Sekunden war das dreistöckige Gebäude zusammengebrochen. Ein einziges Stockwerk war übrig geblieben, da das Gewicht der oberen zwei Stockwerke zu groß für das erschütterte Fundament gewesen war. Ein Schauer lief Chase über den Rücken. Das könnte ihnen in ein paar Monaten passieren, falls die Dreharbeiten nicht gut liefen, falls das Fundament ihres Budgets das Gewicht dessen, was alles darauf gepackt wurde, nicht trug. Chase fühlte das Gewicht bereits auf seinen Schultern. „Entschuldigen Sie.“ Die Frau neben ihm tippte an seinen Arm. „Ist in Ihrem Sitz eine Ausgabe der Zeitschrift SkyMall? Meine fehlt.“ Chase schaute nach und fand, was die Frau wollte. Er reichte ihr lächelnd die Zeitschrift. „Das hilft, die Zeit zu vertreiben.“ „Ja.“ Sie hatte freundliche, blaue Augen. „Besonders während des Starts. Ich finde fast immer etwas für meinen lieben, kleinen Max. Er ist ein Mischling, wissen Sie, halb Cockerspaniel, halb Pudel. So ein süßer Hund.“ „Das glaube ich gern.“ Chase nickte und schaute wieder aus dem Fenster. Dieses Projekt war mit großem Druck verbunden; das hatte er von Anfang an gewusst. Er und Keith waren die Produzenten. Das war unausweichlich mit Aufregung, Staunen, Angst und Sorgen verbunden, denn mit jedem Dollar, den sie für diesen Film bekommen hatten, mit jeder Chance, weil ein Investor sich in den Film einbrachte, wuchs die Gefahr, dass etwas schieflaufen könnte. „Fragst du dich manchmal“, hatte Chase Keith vor ein paar Tagen bei einem Sandwich in einem Fastfood-Restaurant gefragt, „ob wir nicht einfach in Indonesien hätten bleiben sollen?“ Keith hatte nur dieses langsame Lächeln aufgesetzt, das über sein Gesicht zog, wenn sein Vertrauen nicht aus ihm selbst kam. „Wir sind an der Stelle, an der wir sein sollen.“ Er biss von seinem Sandwich und wartete, kaute und schluckte. Er schaute Chase tief in die Augen. „Ich spüre es tief in meinen Knochen.“ Wahrheit und Aufrichtigkeit. Darum machte sich Keith Sorgen. Die Wahrheit der Botschaft, wenn der Film fertig war und der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, und der ehrliche, glaubwürdige Umgang mit den Schauspielern und der Filmcrew, den Investoren und den Studios. Für Keith war jeder Tag eine Prüfung, da Gott ihnen zuschaute. Chase gab ihm recht, aber der Druck, dem er sich ausgesetzt fühlte, rührte nicht daher, dass Gott ihn beobachtete. Das war zwar sehr wichtig, aber Gott liebte sie, egal, ob sie mit ihrer Filmmission erfolgreich waren oder nicht. Chase machte sich vielmehr Sorgen, weil die ganze Welt zuschaute und sehen wollte, was zwei Christen für einen Film mit einem so begrenzten Budget drehten. Wenn sie scheiterten, würde das auch die ganze Welt wissen. Das Flugzeug befand sich inzwischen in der Luft, und die Frau neben ihm klappte die Zeitschrift wieder zu und gab sie ihm zurück. „Das habe ich alles schon gesehen. Nichts Neues für Max.“ Sie zuckte ihre dünne Schulter. „Ich habe diese Strecke in letzter Zeit oft zurückgelegt, weil ich versuche, mein Haus in Indiana zu verkaufen.“ Chase hatte immer noch keine große Lust, sich zu unterhalten, aber diese Frau erinnerte ihn an seine Großmutter. Sie strahlte eine unübersehbare Herzlichkeit aus. Und noch etwas anderes. Vielleicht eine gewisse Traurigkeit. Er fühlte sich gezwungen, ihr wenigstens ein bisschen Zeit zu schenken. „Sie ziehen nach San Jose?“ „Ja. Es wird Zeit für den Umzug.“ Sie schaute traurig nach vorne. „Ich habe mein ganzes Leben lang in Indiana gewohnt.“ Licht vom Fenster fiel auf ihre weiche, faltige Haut, und für ein paar Sekunden verblasste ihr Lächeln. Sie musste mindestens achtzig Jahre alt sein, aber sie sah zehn Jahre jünger aus. Als erinnere sie sich plötzlich, dass sie ein Gespräch mit einem Fremden begonnen hatte, lächelte sie Chase wieder an. „Was ist mit Ihnen? Fliegen Sie nach Hause?“ „Nein.“ Er drehte sich so, dass er mit dem Rücken zum Fenster saß. „Ich fliege geschäftlich nach Bloomington.“ Sie wirkte erfreut, dass er sich mit ihr unterhielt. „Geschäftlich!“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Mein Mann war Geschäftsmann. In welcher Branche arbeiten Sie?“ „Ich bin Produzent.“ Diese Berufsbezeichnung erfüllte ihn gleichzeitig mit dem Gefühl, privilegiert zu sein, und mit einem nicht zu leugnenden Schwindelgefühl. „Wir drehen vier Wochen in Bloomington.“ „Produzent! Das ist ja wunderbar.“ Sie faltete die Hände auf dem Schoß. „Mein Großneffe arbeitet in der Produktion. Er hat eine Stelle in einer Fabrik in der Nähe seines Elternhauses und baut jetzt den ganzen Tag Maschinen zusammen.“ Chase öffnete den Mund, um ihr zu erklären, dass er Filmproduzent war und nicht in der Produktion arbeitete, aber sie war noch nicht fertig. „Er arbeitet dort erst seit ein paar Monaten, aber ich glaube nicht, dass er das auf Dauer machen wird. Er will die Schule zu Ende machen.“ Sie legte den Kopf schief. „Haben Sie die Schule fertig gemacht, junger Mann?“ „Ja, Madam. Aber …“ „Natürlich. Sie haben wahrscheinlich sogar studiert.“ Sie lachte leise. „Sie müssen Produktionsmanager sein und fliegen bestimmt nach Bloomington, um neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen und Geschäfte zu eröffnen, die Ihre Produkte verkaufen.“ Sie unterstrich ihre Worte mit einem kräftigen Kopfnicken. „Das ist eine sehr wichtige Arbeit.“ Sie deutete mit dem Finger in seine Richtung. „Die Bevölkerung sieht es als selbstverständlich an, dass wir überall Geschäfte haben und alle Produkte kaufen können.“ Sie lehnte sich auf ihrem Sitz zurück, schaute ihn aber immer noch direkt an. „Das ist ein ehrenwerter Beruf.“ In ihrem Grinsen lag eine unübersehbare Bewunderung. „Danke, dass Sie so viel für Ihre Mitmenschen tun. Wie, sagten Sie, heißen Sie?“ „Chase. Chase Ryan.“ „Ich bin Matilda Ewing. Mattie.“ „Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Madam.“ „Mr Ryan.“ Sie hielt ihm ihre dürre Hand hin. „Es ist mir auch eine Freude, Sie kennenzulernen. Aber was ist mit Ihrer Familie zu Hause? Vier Wochen sind eine furchtbar lange Zeit, um von seiner Familie getrennt zu sein. Mein Sohn hat wegen so einer längeren Trennung einmal fast seine Ehe aufs Spiel gesetzt. Er war im Verkauf tätig und musste sich eine neue Arbeit suchen, um seine Familie zu retten.“ Sie nahm sich kaum Zeit, um Atem zu holen. „Sie haben doch eine Familie, oder?“ „Ja, Madam. Es ist nicht leicht, von ihr getrennt zu sein.“ Die Frau war leicht zu durchschauen. „Meine Frau Kelly ist bei unseren zwei kleinen Mädchen zu Hause. Die beiden sind vier und zwei.“ Sie atmete überrascht ein. „Und Sie wollen vier Wochen fort bleiben! Sie müssen einen Engel von einer Frau haben! Das ist eine lange Zeit, um sich allein um die Familie zu kümmern.“ „Ja, Madam.“ Chase fragte sich, ob die Frau etwas verwirrt war. Vor wenigen Sekunden hatte sie ihn in den höchsten Tönen gelobt und seinen vermeintlichen Beruf gewürdigt und jetzt tadelte sie ihn, weil er es wagte, so lange von zu Hause fort zu bleiben. „Verstehen Sie mich nicht falsch“, sagte sie jetzt. „Sie verrichten eine wichtige Arbeit. Aber seien Sie vorsichtig! Wenn man so lange voneinander getrennt ist, gerät man unweigerlich in Versuchungen. Aber keine ist es wert, deshalb die Ehe zu riskieren.“ Sie schmunzelte leise. „Wenn ich das so sagen darf.“ Die Stewardess schaute in ihre Reihe. „Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen?“ Matilda bestellte sich eine Limonade und begann dann ein Gespräch mit dem Fluggast auf der anderen Seite des Gangs. Diese Ablenkung gab Chase Gelegenheit, wieder aus dem Fenster zu schauen und über die Worte und den weisen Rat der alten Frau nachzudenken, auch wenn sie ihn nicht richtig verstanden hatte und dachte, er produziere Maschinen und nicht Filme. Aber in Bezug auf seine Familie zu Hause hatte sie voll ins Schwarze getroffen. Besonders was die Versuchungen anging. Bei seinen ganzen Sorgen und Bedenken hatte er überhaupt nicht daran gedacht, wie es für Kelly und die Kinder sein musste, wenn er vier Wochen von ihnen getrennt war. Er musste bei seinen Gedanken über Matildas Worte eingeschlafen sein, denn irgendwann tippte sie ihn wieder am Arm. „Mr Ryan, wir landen. Sie müssen den Sitz hochstellen.“ Er streckte die Beine links und rechts neben seiner Laptoptasche aus und tat, was sie sagte. „Danke.“ „Gern geschehen.“ Sie verstellte das Gebläse über ihrem Sitz. „Sie haben tief geschlafen. Sie brauchen den Schlaf, um Kraft für Ihre Arbeit zu haben.“ „Ja, Madam.“ Chase rieb sich die Augen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Als er ganz wach war, wandte er sich wieder an sie. „Und wann ziehen Sie nach San Jose?“ Zuerst sah sie aus, als wollte sie seine Frage nicht beantworten. Sie schürzte die Lippen und schaute auf ihre Hände hinab, auf den dünnen, goldenen Ehering, der alt und abgenutzt aussah. Als sie aufblickte, lag wieder diese Traurigkeit in ihren Augen. „Mein Mann und ich waren achtundfünfzig Jahre verheiratet.“ Sie rang die Hände, während die Worte mühsam über ihre Lippen kamen. „Er starb im letzten Januar. Meine Töchter wollen, dass ich in ihre Nähe ziehe.“ Sie lächelte, aber ihr Lächeln erreichte nicht ihre Augen. „Wir suchen eine Wohnung in einer … Seniorenanlage. Ein Haus, das Max und mich aufnimmt.“ Ihr Gesicht verriet, dass ihr dieser Gedanke nicht gefiel, dass sie sich aber nicht dagegen wehrte. „Ich bin manchmal ein bisschen vergesslich, und manchmal höre ich auch nicht mehr so gut wie früher. Es ist eine gute Idee.“ Sie schaute ihn fragend an. „Finden Sie nicht auch?“ „Ja.“ Er hätte seine Nachbarin am liebsten umarmt. Diese arme Frau! „Meine Töchter sagen, ich zögere alles hinaus.“ Matilda richtete den Blick wieder nach vorne. „Vielleicht stimmt das auch. Wenn ich dieses Haus zum letzten Mal zusperre und die Tür zuziehe, dann war es das.“ Sie schaute ihn mit Tränen in den Augen an. „Wir haben fünfzig Jahre in diesem Haus gewohnt. Jeder Quadratzentimeter enthält hundert Erinnerungen.“ „Es wird nicht leicht sein, von dort wegzugehen.“ „Nein.“ Matilda schluckte schwer. „Deshalb sage ich ja, dass Sie aufpassen sollen, Mr Ryan.“ Ihre Selbstbeherrschung kehrte zurück. „So wichtig Ihr Beruf auch sein mag, die Familie ist trotzdem wichtiger. Kinder werden erwachsen, und Gott gibt uns nur eine bestimmte Anzahl von Tagen mit unserer Familie.“ „Ja, Madam.“ Der Pilot meldete sich über den Lautsprecher und verkündete, dass sie bald landen würden. Mit dieser Ansage wurde Chases Gespräch mit Matilda unterbrochen. Sie unterhielt sich wieder mit dem Fluggast auf der anderen Seite, und erst als sie das Ende des Flugsteigs erreichten, drehte sie sich zu ihm um und funkelte ihm noch einmal zu. „Viel Glück bei Ihrer Arbeit, Mr Ryan. Und vergessen Sie meinen Rat nicht. Zu Hause ist es immer am schönsten.“ Chase dankte ihr noch einmal, und dann war sie fort. Zwischen dem Flugsteig und der Gepäckausgabe sah er sie nicht mehr. Er mietete sich ein Auto und brach nach Bloomington auf. Sobald er dort ankam, rief er sofort Kelly an. „Hallo?“ „Schatz, ich bin es.“ Chase war erleichtert. Seine Worte sprudelten viel schneller über seine Lippen als sonst. „Es gibt etwas, das ich dir am Flughafen hätte sagen sollen, als wir uns verabschiedeten. Wir standen minutenlang da, aber ich habe dir nicht gesagt, was ich dir hätte sagen sollen, und deshalb rufe ich an.“ Sie lachte. „Hast du zu viel Kaffee getrunken?“ „Nein.“ Er atmete ein und sprach langsamer weiter. „Was ich dir sagen will, Kelly: Ich bin dir sehr dankbar. Du musst jetzt vier Wochen mit dem Haushalt und den Kindern allein fertig werden, und ich habe dir nie … ich habe dir nie dafür gedankt.“ Ein paar Sekunden kam keine Antwort. „Empfindest du das wirklich so?“ Eine vorsichtige Freude trat in ihre Stimme. „Ja.“ Ein weiteres Bild tauchte vor seinem geistigen Auge auf: Sie beide standen vor dem Altar einer Kirche, die mit ihren Angehörigen, Verwandten und Freunden gefüllt war, und hielten sich an den Händen, und Chase wusste, dass er auf der ganzen Welt nie einen Menschen so sehr lieben würde wie die schöne Frau, die neben ihm stand. „Ich liebe dich, Kelly. Vergiss das nie, okay?“ „Okay.“ Sie lachte, und es klang wie ein Glockenspiel und ein leichter Sommerwind. So hatte sie schon eine ganze Weile nicht mehr geklungen. „Du hast keine Ahnung, wie viel es mir bedeutet, dass du anrufst und mir das sagst.“ „Ich vermisse dich jetzt schon. Gib den Mädchen einen Kuss von mir.“ „Okay. Oh, Chase, noch etwas.“ Sie lachte wieder. „Du schaffst das. Ich weiß, dass du es kannst. Ich bete, seit du abgeflogen bist, und ich habe das Gefühl, dass Gott mir etwas klargemacht hat: Diese Sache wird größer werden, als Keith und du es euch je erträumt habt.“ Ihr Vertrauen hauchte seinen Träumen neuen Atem ein. „Im Ernst?“ „Ja.“ Er hörte im Hintergrund seine Töchter Old McDonald Had a Farm singen. „Ich glaube an dich, Chase. Ich verspreche, dass ich diesen Glauben nicht aufgeben werde.“ „Danke.“ Er dachte an Matilda und daran, dass sie lächeln würde, wenn sie das Gespräch, das Chase in diesem Moment mit seiner Frau führte, hören würde. „Okay, dann stürze ich mich jetzt in die Produktion.“ „Wie bitte?“ Kelly lachte immer noch. „Was soll das heißen?“ „Nichts.“ Er schmunzelte. Er sagte ihr noch einmal, dass er sie liebte, und versprach, am Abend anzurufen und den Mädchen eine gute Nacht zu wünschen. Nachdem er aufgelegt hatte, wurde er erneut an die freundliche Stimme der alten Frau erinnert. Er wollte den Menschen wirklich etwas bringen, das sie brauchten: Die beste Botschaft der Welt, die er ihnen nur bringen konnte, wenn der Film so gut wie möglich wurde. Aber vor allem dachte er an ihre Warnung vor Versuchungen. Die vor ihm liegenden Monate würden eine verrückte Zeit werden, wenn Keith und er den Film produzierten. Aber egal, wie holprig der Weg werden würde – Chase nahm sich fest vor, Kelly und den Mädchen treu zu bleiben. Denn Matilda hatte recht: Gott schenkte einem Menschen nur eine begrenzte Anzahl von Tagen mit seiner Familie.

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