Löw: Die Biographie

Löw: Die Biographie

by Mathias Schneider
Löw: Die Biographie

Löw: Die Biographie

by Mathias Schneider

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Overview

STERN-Reporter Mathias Schneider berichtet seit 2001 über die Nationalmannschaft. Er verfolgte Löws Weg beim DFB seit dessen erstem Spiel als Assistenztrainer 2004 in Österreich bis zuletzt bei der Weltmeisterschaft in Russland aus nächster Nähe. Immer wieder traf sich Schneider in den vergangenen Jahren zu Interviews mit dem Bundestrainer. Nun hat er sich aufgemacht zu den Knotenpunkten in Löws Leben. Schneider zeichnet das spannende Psychogramm eines Weltmeister-Trainers, der sich in vielerlei Hinsicht treu geblieben ist. In seiner präzisen Rekonstruktion der WM 2018 zeichnet Schneider nach, warum Löw am Ende aber auch an sich selbst scheitern musste. Eine deutsche Geschichte über Loyalität und Loslassen, Aufstieg und Scheitern und die Frage, wann es an der Zeit ist, sich neu zu erfinden.


Product Details

ISBN-13: 9783843718493
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 11/30/2018
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 344
File size: 7 MB
Language: German

About the Author

Mathias Schneider berichtet seit zehn Jahren als Sportreporter für den STERN, zuletzt auch für die Wissenschaft. Er ist Autor zahlreicher Titelgeschichten. Schneider traf in der Vergangenheit für Interviews wie Recherchen unter anderem internationale Topstars wie Roger Federer, Usain Bolt oder Maria Scharapowa. Er lebt mit Freundin und Tochter in Hamburg.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Ganz enge Ballführung – eine Schwarzwälder Kindheit

Manchmal, meist kurz vor den Ferien, die Verheißung langer Tage schon so nahe, keine Schule, keine Verpflichtungen, nur sie und dieses Spiel, das sie so liebten, manchmal also kratzten sie ihr Geld zusammen und beschlossen, aus ihrer kleinen Welt eine große werden zu lassen. Und sei es nur in ihrer Fantasie. Also gab jeder von ihnen fünfzig Pfennig, das war schon was an Geld Anfang der Siebzigerjahre. Sie kauften einen Pokal, wie sie ihn kannten, von Weltmeisterschaften, von Europameisterschaften, von deutschen Meisterschaften. Um diesen Pokal sollte es gehen bei der inoffiziellen Stadtmeisterschaft von Schönau.

Sie teilten ihren Ort in zwei Hälften, hier die Schönauer, wohnhaft mitten im Ort, dort die Jungs aus Brand, einer einen Kilometer entfernten Siedlung. Sie kauften sich unterschiedliche Trikots, um die Mannschaften besser unterscheiden zu können, und unterschiedliche Stutzen, auch das ihren Vorbildern nachempfunden – die Spenden der Omas und Opas machten es möglich. Dann traten sie in den Ferien täglich gegeneinander an, mal in Brand auf einer Wiese mit zwei Toren, ohne Netz, mal in Schönau auf einer Wiese in der Stadt. Zwei Wochen lang ging das so, bis der Sieger feststand. »Und glauben Sie nicht, dass das alles friedlich war, nur weil wir im Verein alle zusammen beim TuS Schönau gespielt haben. Von wegen. Da gab es Krach, Ärger, wie bei den großen Jungs«, sagt Werner Hornig, fester Händedruck, Konstantin-Wecker-Figur, kahler Schädel. »Der Jogi«, wie sie hier sagen, als wäre der bestimmte Artikel ein Teil des Namens, der sei natürlich mittendrin gewesen damals, als sie acht, neun Jahre alt waren.

Hornig, wie Löw schon immer der Fraktion der, nun ja, Städter zugehörig, hat an einem Mittwochnachmittag im März des Jahres 2018 in sein Reisebüro im Zentrum Schönaus geladen. Um auf dem Weg zurück in die Vergangenheit nicht gestört zu werden, hat er das Schild noch schnell auf »geschlossen« gedreht. Neben ihm hat Dietmar Krumm, Bürstenschnitt, Hemd, offener Blick, Platz genommen, einer der Burschen aus Brand von damals. Es scheint, dass selbst fünfzig Jahre nach den Schlachten um den Schönauer Dorfpokal der Kleinen die Kräfteverhältnisse gewahrt bleiben müssen.

Krumm, wie Hornig hier geboren und aufgewachsen, arbeitet heute als Hauptamtsleiter im Rathaus. Dort kommt ihm neben seiner Tätigkeit im Dienste der Stadt ein ähnlich bedeutsames Amt zu: Dietmar Krumm ist der inoffizielle offizielle Joachim-Löw-Beauftragte der Stadt Schönau. Wer etwas vor Ort über den jungen Jogi erfahren will, wird früher oder später seinen Weg kreuzen.

Krumm und Hornig kennen den jungen Jogi nicht nur von den sommerlichen Titanen-Kämpfen auf den Plätzen des Ortes. Sie wuchsen mit ihm heran. Sie spielten mit ihm auf dem sandbeschichteten Hartplatz vor der Löw'schen Ofensetzerei, direkt neben einer Schreinerei, ausgerüstet mit mächtigen Scheiben, unglücklicherweise direkt hinter dem Tor platziert. Nicht nur einmal klirrte das Glas. Vor allem aber stritten Krumm wie Hornig vor fast fünfzig Jahren Seite an Seite mit dem Stürmer Löw in der D-Jugend des ortsansässigen TuS Schönau.

Wie darf man sich das Spiel des jungen Jogi vorstellen?

»Kommen Sie um den Tisch herum, und schauen Sie es sich an«, antwortet Krumm und reicht eine CD an Hornig, die sogleich ins Laufwerk eines Computers wandert. Kurz darauf taucht eine Turnhalle auf, wie sie so auch heute noch zu Tausenden in deutschen Kleinstädten zu finden ist: heller Schwingboden, bestehend aus diesem seltsamen, wie stumpfen Gummi-Mix. Man sieht junge Buben, kaum älter als zehn, elf Jahre, und unter ihnen einen Steppke, den sie schon mitspielen lassen, weil sie jeden brauchen, vor allem, wenn er so viel besser ist als der Rest.

Der junge Steppke führt den Ball eng am Fuß, eng an beiden Füßen, um genau zu sein. Der Oberkörper verharrt ruhig – ein leichter Rundrücken –, als balancierte er einen Tennisball zwischen den Schulterblättern. Menschen, die den Steppke von damals heute als achtundfünfzigjährigen Senior in einer Soccerhalle bei Freiburg erleben, einmal die Woche, werden sein Spiel mit ähnlichen Worten beschreiben.

Der Junge lamentiert nicht auf dem Video, still läuft er ohne Pause durch die Halle, als triebe ihn eine Batterie an. Dann ist da noch die Frisur des Buben, er trägt die Haare zu einem schier unvergleichlichen Pilzkopf drapiert. Kein Zweifel, wen man da vor sich hat: Joachim Löw, voll in Aktion.

Er hat ja nie etwas anderes gewollt, als zu kicken, zunächst ohne Schuhe lief er dem Leder vor dem Haus hinterher, aufgerieben die Kinderfüße. Zwei Kilometer lagen zwischen seinem Elternhaus und dem offiziellen Vereinssportplatz am Ortsende. Mit dem Ball am Fuß dribbelte der kleine Jogi täglich hinüber und zurück, später die legendären Copa Mundial von adidas an den Füßen. Er trägt das Modell bis heute, ganz klassisch.

Immer wieder spielte Löw Doppelpass mit den an den Gehsteig angrenzenden Hauswänden. Wenn er selbst davon erzählt, wird sein Badisch etwas breiter, sein Ton weicher, wie man vor ein paar Jahren in einem Konferenzraum des Deutschen FußballBundes in Frankfurt hören konnte: »Schon als ich ganz klein war, habe ich unbedingt mit dem Ball spielen wollen, stundenlang. Ich kam aus der Schule, der Ranzen flog ins Eck, essen, ganz schnell Hausaufgaben machen, dann raus – kicken. Der Ball hatte schon immer eine besondere Anziehungskraft auf mich. Wenn ich an den Ball denke, denke ich an Tore. Für mich war es immer ein unglaubliches Glücksgefühl, ein Tor zu schießen.« Er hat diesen Sport geliebt, wie es wohl nur Kinder tun können, die sich nicht wie heute täglich zwischen Tausenden Optionen auf Konsolen, Tablets und iPhones entscheiden müssen. Und Schönau, dieses 2500-Einwohner-Städtchen, das war sein Refugium.

Ein Refugium, das sich zumindest äußerlich kaum geändert hat. Das holzgetäfelte Ortsschild »Luftkurort Schönau – Schöne Au – komm und schau« begrüßt noch heute den Besucher. Nicht ohne Stolz prangt darunter der Zusatz: »Solarhauptstadt in Deutschland«. Wer das Dörfchen durchstreift, findet ein durchaus imposantes historisches Rathaus, in dem sich noch immer die Stadtverwaltung befindet. Der neunzig Meter hohe Glockenturm der römisch-katholischen Pfarrkirche ragt wie eine mächtige Lanzenspitze in den Himmel. Ein Freibad, ein Golfplatz, natürlich der sich im Tal am Ortsausgang an eine Böschung schmiegende Kunstrasenfußballplatz, dazu ein paar Gaststätten – doch all dies nährt nicht dauerhaft die Erinnerung. Es ist die zeitlose Ruhe, die sich eingräbt. Als schluckten die bewaldeten Hügel, an denen das Örtchen rund um den Dorfkern hinaufwächst, bis heute jeden Lärm einer fernen Zivilisation.

Kaum Arbeitslosigkeit, keine Drogen, viel Zufriedenheit, das muss der Humus für Löws Kindheit gewesen sein. Sie rücken hier, wo Winter noch wirkliche Winter sind, voller Eis und Schnee, zusammen. Man schwätzt miteinander, selbst dann, wenn man sich nicht ausstehen kann. Ein Viertele geht immer. Sie mögen beengt leben, doch engstirnig sind sie nicht, das Elsass mit seinem Weinanbau so nah. Sie arbeiten hier und wissen doch zu leben. Fleißig, akribisch, wie ein Bundestrainer namens Löw viel später immer wieder in seiner Arbeit betonen wird, das sind die Alemannen. Und stolz, auch das. Sie wissen, dass sie einen guten Deal mit dem Schicksal geschlossen haben, auch das macht sie in den Tiefen des Schwarzwaldes so gelassen.

So ist es immer gewesen, schon 1970. Seine erste WM erlebte der zehnjährige Jogi damals. Mexiko. Der späte Pelé! Der Hinterkopf von Uwe Seeler. Ausgerechnet Schnellinger! Nicht im elterlichen Wohnzimmer bestaunte der kleine Jogi seine Helden, dort stand damals noch kein Fernseher, sondern bei Verwandten der Mutter. Er stammt ja aus einer anderen Zeit, man sollte sich das gelegentlich vor Augen führen, wenn er heute in seinen taillierten Hemden über die Hightech-Welt des modernen Fußballs referiert, als wäre er schon als Projekttrainer auf die Welt gekommen.

Deutschland gegen England, Deutschland gegen Italien, das schauten sie damals alle gemeinsam, die Kinder vorn auf dem Boden, die Erwachsenen dahinter. Aus dem Joachim war da schon längst der Jogi geworden, nicht nur die drei jüngeren Brüder Markus, Christoph und Peter riefen ihn so, sondern das ganze Dorf, später ganz Freiburg und heute die ganze Nation. Nur für die Mutter Hildegard ist er immer »der Joachim« geblieben.

Der Vater Hans genoss das, was man in den Sechzigerjahren in einem Örtchen wie Schönau noch Ansehen nannte. Nicht irgendein Ofensetzer war er, vielmehr entstammte er einer Kachelofendynastie, das Unternehmen aus Oos, seit 1928 Stadtteil von Baden-Baden, war damals schon mehr als hundert Jahre alt. Öfen bauen, das lag Hans Löw in den Genen. Schnell gehörte er auch in Schönau mit seiner Frau Hildegard, geborene Lais, zu den so wohlhabenden wie respektierten Bewohnern des Ortes. Der Betrieb wuchs rasch, zwölf Angestellte führte er, denn Löw Senior verstand sich nicht nur auf sein Handwerk, er konnte auch hart arbeiten.

In den Krieg hatte er ziehen müssen und zählte nun zu jenen, die dem Land einen ungeahnten Aufstieg bescheren würden. Sich selbst gönnte er in all den Jahren nicht viel, eine Zigarre am Sonntag, ein ordentliches Essen und ein Viertele, mehr aber auch nicht. Das Geld wurde zusammengehalten, wie es sich gehörte, und den Betrieb für Wochen zu schließen, gar für ausgedehnte Urlaubsreisen ins Ausland, das gab es nicht.

Löw war ein guter Arbeitgeber, einer der besten des Ortes. So sollte es lange bleiben, bis sich jene, die er einst ausbildete, von ihm lösten. Sie eröffneten eigene Betriebe und machten ihm im eigenen Ort Konkurrenz. Denn sie bauten nicht nur Kachelöfen in die Häuser, sie fliesten auch gleich noch Bäder, ein Preiskampf entstand. Doch Hans Löw klagte nicht. Er kämpfte. Er schaffte weiter und sorgte still für seine Familie, wie es sich für einen Mann mit Frau und vier Kindern gehörte. Außerdem engagierte er sich im Vorstand des Vereins seiner vier Söhne, doch in den Vordergrund drängte es ihn nie. »Der Hans wollte nicht im Mittelpunkt stehen, mal saß er im Café Huber, hat dort sein Viertele getrunken, mal ein bisschen Karten gespielt. Vor allem wollte er seine Ruhe haben«, erinnert sich Schönaus Löw-Beauftragter Krumm.

Sein Ältester, der Jogi, mochte schon damals eine kleine lokale Größe gewesen sein, doch das riss den Senior nicht zu Begeisterungsstürmen hin. Er definierte sich nicht über den Erfolg seiner Burschen, was durchaus bemerkenswert war, denn neben Joachim sollte später auch der Zweitälteste, Markus – von allen nur Maggie genannt –, es bis in den Profikader des SCFreiburg schaffen. Doch Hans Löw ließ den Dingen ihren Lauf, er reiste nicht zu Auswärtsspielen seiner Jungs, und das in einer Zeit, in der das Phänomen der ehrgeizigen Väter, die ihren Nachwuchs zur Karriere zu treiben versuchen, gar nicht so selten vorkam. Nicht Hans Löw. Nur am Sonntag machte er sich mit seinen Söhnen zum Kicken auf. Doch wo genau das Talent im Hause Löw nun herstammt, ob vom Vater oder von der Mutter, darüber rätseln sie bis heute in Schönau. Jogi Löw selbst ist dem Geheimnis nie auf die Spur gekommen. »Meine Eltern waren beide keine Ballsportler.«

Wer die Löw-Buben nicht kannte, konnte nicht vermuten, dass sie dieselben Eltern hatten, zu unterschiedlich waren Aussehen und Naturell. Sicher, alle vier spielten Fußball, allen vieren war ungezügelter Jähzorn auf dem Platz fremd, doch sie glichen sich nicht. Eher teilten die Löws sich in zwei Paare auf. Jogi und Christoph, der Drittälteste, bilden bis heute am ehesten eine optische Einheit, noch heute bezeichnet Jogi ihn als den Talentiertesten aller Brüder. Den Ehrgeiz des großen Bruders besaß Christoph Löw allerdings nicht. Der Familie der Mutter kommen Joachim wie Christoph Löw nach, schon des Haarschopfes wegen. Zwar verfügte Mutter Löw über eine blonde Haarpracht, doch beim Rest ihrer Verwandtschaft sind auf dem Haupte eher dunkle Töne angesagt. Den eigenen Cousins sieht Joachim Löw deshalb ähnlicher als zweien seiner Brüder, auch was die schlanke Statur angeht.

Dagegen dürften die Brüder Markus und Peter, den jeder rund um Schönau nur Pit nennt, eher vom Gemüt des Vaters geprägt sein. Am wohlsten fühlen sie sich bis heute in ihrer abgesteckten Wohlfühlzone, Markus in Basel, Pit in der Vereinsgaststätte Schönau, die er seit Jahren betreibt. Bis heute empfinden sie das öffentliche Interesse auch an ihrer Person eher als Last denn als Lust. Sich über den Bundestrainer-Bruder zu profilieren, gar zu definieren, ist beiden völlig fremd. Ihr eigenes Leben wollen sie führen, unbehelligt. Wo den Bundestrainer heute Heerscharen von Bewunderern und Schulterklopfern umschwärmen, vor allem, wenn eine Kamera in der Nähe ist, halten sich beide lieber im Hintergrund.

Besucht man den Jüngsten Pit in seiner Vereinskneipe, an deren Rückseite seit 2014 das Schild »Jogi-Löw-Stadion« prangt, trifft man auf einen zugewandten stämmigen Mann mit kurz geschorenen Haaren, der nicht mehr im Sinn hat, als seinen Job ordentlich zu erledigen. Während des WM-Finales 2014 hat er einfach weiter bedient, Geschäft ist Geschäft. Ein flüchtiger Blick zum Fernseher, ein kurzer Ruck, der seinen Körper durchfährt, wenn ein Gegenspieler der Deutschen doch übers Tor schießt, mehr Gefühlsregungen gestattet er sich nicht, wenn der Bruder in großen Spielen an der Seitenlinie steht.

Zur Pilgerstätte für Löw-Touristen soll sein zweites Wohnzimmer eher nicht werden. Deshalb hat er es den Kamerateams, die zu Weltmeisterschaften so sicher im Gastraum eintreffen wie die nächste Bierbestellung, erst einmal verboten, in seinem Reich zu filmen. Die Jugendmannschaften gehen dagegen ein und aus. Ihre Spieler lagern ihre Schlüssel hinter dem Tresen, ein beiläufiger Plausch hier, eine kurze Umarmung da und immer mittendrin der Pit, lautlos, freundlich, einem Herbergsvater gleich. Auf zwei Fernsehern läuft Sky, ein abgetrennter Nebenraum dient als Rückzugsort für Mannschaften und Cliquen. Man könnte glauben, das Deutschland der Achtzigerjahre habe sich hierhin zurückgezogen. Fußballvereine glichen damals noch Stätten der Begegnung, ihre Mitglieder verabschiedeten sich nach dem Training nicht sogleich in virtuelle Welten.

Ein kleines Bild des großen Bruders findet sich dann doch an der Wand. Es zeigt den Bundestrainer von hinten. Dafür ist das Gesicht der Kanzlerin zu sehen. Sie steht vor ihm und lächelt ihn an wie eine Verliebte. Es ist nicht ganz klar, ob das Bild aus Stolz über so viel Nähe des Bruders zur ersten Frau im Staate da hängt oder nicht doch eher als subtile, lieb gemeinte Ironie zu verstehen ist: Da schau einer an, da hat unser Jogi aber eine Verehrerin von Rang.

Bis vor ein paar Jahren hat auch die Mutter Hildegard noch kräftig mitgeholfen in der Küche, Bundestrainer hin oder her, die Arbeit musste gemacht werden, und all die Schnitzel klopften sich ja nicht von selbst. Als wollte sie einen stummen Beweis erbringen, dass kein Bundestrainer der Welt, kein Millionengehalt ihrer Bodenständigkeit und ihrer bürgerlichen Ehre etwas anhaben konnte.

Noch heute, mit fünfundachtzig, lebt die Mutter allein in einer Wohnung im Ortskern, ihr Mann Hans verstarb im Frühjahr 1997 an einem Schlaganfall. Doch in die Knie zwang Hildegard Löw selbst dieses Schicksal nicht, genauso wenig wie zwei schwere Knieoperationen zuletzt. Nicht jammern. Stattdessen das Beste aus den Möglichkeiten machen, bis heute schmeißt sie ihren Haushalt allein.

Eine selbstbestimmte Frau, das ist Frau Löw immer gewesen, nicht nur weil sie neben der Erziehung der Söhne auch noch im Lebensmittelgeschäft ihrer Eltern mit anpackte. Bis heute lässt sie ihre Jungs schon mal wissen, wenn ihr etwas missfällt, und sei es nur die Frisur oder der zu lang gewachsene Bart. Das Verhältnis bleibt herzlich und innig. Sie hat ihre Buben immer zusammengehalten, bis die es selbst untereinander taten.

Allzu viel Anlass zur Kritik bot sich der Mutter dann auch nicht, zumindest nicht beim Ältesten Joachim. Brav kam er seinen Pflichten als Ministrant nach, mit dem Großvater fuhr er am Wochenende nach Freiburg, um fünf Uhr in der Früh war Aufbruch, ein großes Abenteuer war all das für den kleinen Jogi. »Es war dunkel, kalt, wir sind mit einem alten VW-Bus über den Pass gefahren, der Notschrei heißt«, erzählt Löw Jahre später. »Besonders auf die Bratwurst, die es auf dem Markt dann gab, habe ich mich gefreut.«

Es hat nicht »gerauscht«, wie sie hier sagen, wenn daheim die Kinder nichts zu lachen haben, weil die Hand des Vaters züchtigt. Verständnisvoll gingen die Eltern mit ihrem Ältesten um, ohne ihn zu verhätscheln, verständnisvoll wird dieser später mit seinen Spielern umgehen. Disziplin und Respekt, die er heute von seinen Profis fordert, hat er früh gelernt. Immer war klar im Hause Löw, wer das Sagen hat. Im Gegenzug durften die Söhne ihre Kindheit genießen, wenn daheim nichts mehr zu erledigen war. Es sollte nicht allzu lange dauern, bis eine Leidenschaft die Löw'schen Jungs fesselte: die Zockerei. »Wenn du verlierst, dann bekomme ich dein Zimmer. Solche Sachen wurden da verhandelt«, erzählt Dietmar Krumm. Auch um die Fußballschuhe eines Bruders ging es schon mal.

(Continues…)


Excerpted from "Löw Die Biographie"
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Table of Contents

Über das Buch und den Autor,
Titelseite,
Impressum,
Prolog,
1 Ganz enge Ballführung – eine Schwarzwälder Kindheit,
2 Bundestrainer 2004–06: Statthalter der Revolution,
3 Das dünne Eis der großen Welt – als Spieler in die Bundesliga,
4 Bundestrainer 2006–08: Kampf der Kulturen,
5 Freischaffender Künstler in Freiburg – die Rückkehr des Spielers,
6 Bundestrainer 2008: Der Fall Ballack,
7 Ein unauffälliger Deutscher – Lehrjahre in der Schweiz,
8 Bundestrainer 2009–10: Flitterwochen,
9 Rock?'n'?Roll in Schwaben – als Trainer beim VfB Stuttgart,
10 Bundestrainer 2010–12: Evolution und Overcoaching,
11 Auf und Ab im Garten des Leuchtturms – Trainer in Istanbul,
12 Bundestrainer 2014: Siebenzueins,
13 Missglückte und glückliche Gastspiele – von Karlsruhe nach Wien,
14 Bundestrainer 2014: Die Nacht von Rio,
15 Refugium – ein Weltmeister in der Provinz,
16 Bundestrainer 2016–18: Selbstüberzeugung,
17 Öffentlichkeit – der Weltmeister in Medien und Politik,
18 Bundestrainer 2018: Der Aufprall,
Epilog,
Bildteil,
Bildnachweis,
Feedback an den Verlag,
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