Das fünfte Zeichen

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Overview

Ein Kommissar am Tiefpunkt seiner Karriere, ein Mörder, der das hochsommerliche Oslo in Angst und Schrecken versetzt, ein Zeichen, das allen ein großes Rätsel aufgibt: Auf der Jagd nach einem Frauenmörder muss Hauptkommissar Harry Hole nicht nur eine Grenze überschreiten ... Entdecken Sie auch MESSER, den neuen großen Kriminalroman um Kommissar Harry Hole!


Product Details

ISBN-13: 9783548920160
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 06/09/2010
Series: Ein Harry-Hole-Krimi , #5
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 512
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

Jo Nesbø, 1960 geboren, ist Ökonom, Schriftsteller und Musiker. Er gehört zu den renommiertesten und erfolgreichsten Krimiautoren weltweit. Die Hollywood-Verfilmung seines Romans Schneemann wird von Martin Scorsese produziert. Jo Nesbø lebt in Oslo.

Jo Nesbø, 1960 geboren, ist Ökonom, Schriftsteller und Musiker. Er gehört zu den renommiertesten und erfolgreichsten Krimiautoren weltweit. Jo Nesbø lebt in Oslo.


Günther Frauenlob, geb. 1965, arbeitet seit 1995 als literarischer Übersetzer aus dem Norwegischen und Dänischen. Zu den von ihm übersetzten Autoren zählen Jo Nesbö, Jörn Lier Horst, Lars Mytting, Line Holm & Stine Bolther uvm. Günther Frauenlob lebt in Waldkirch bei Freiburg i. Brsg. und auf der norwegischen Insel Hidra.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Freitag. Eier

Das Haus war 1898 auf lehmigem Grund errichtet worden. Auf der Westseite hatte der Boden ein klein wenig nachgegeben, so dass das Wasser dort über die Schwelle rann, wo die Tür in den Scharnieren hing. Es sickerte auf den Boden des Schlafzimmers und zog einen nassen Streifen über das Eichenparkett, immer gen Westen. In einer Senke des Parketts verharrte der Wasserlauf einen Moment, bis er von den nachdrängenden Tropfen weitergedrückt wurde und wie eine verängstigte Ratte auf die Fußleiste zuschoss. Dort rann das Wasser in beide Richtungen, bahnte sich einen Weg unter der Leiste hindurch, schnupperte gleichsam herum, ehe es eine Ritze zwischen dem Ende der Dielen und der Wand fand. In dieser Ritze lag eine Fünfkronenmünze, in die neben dem Profil von König Olaf die Jahreszahl 1987 eingeprägt war, das Jahr, in dem sie dem Schreiner aus der Hosentasche gefallen war. Das waren noch Zeiten, in denen das Handwerk florierte, viele Dachwohnungen sollten renoviert und ausgebaut werden, so dass sich der Schreiner nicht die Mühe gemacht hatte, nach dem Geldstück zu suchen.

Das Wasser brauchte nicht lange, um einen Weg durch die Zwischendecke unter dem Parkett zu finden. Abgesehen von einem Wasserschaden 1968 – dem Jahr, in dem das Haus ein neues Dach bekommen hatte –, waren die hölzernen Zwischendecken seit 1898 unaufhörlich getrocknet und geschrumpft, so dass der Spalt zwischen den beiden innersten Fichtendielen nun beinahe einen halben Zentimeter betrug.

Von dort tropfte das Wasser auf einen Balken, der es weiter nach Westen in die Außenwand führte. Dort drang es in den Kalkputz und Mörtel, der mehr als hundert Jahre zuvor von Jacob Andersen gemischt worden war, einem Maurermeister und Vater von fünf Kindern.

Wie alle Maurer seiner Zeit rührte auch Andersen seine ganz spezielle Mörtelund Putzmischung an. Er schwor auf ein bestimmtes Mischungsverhältnis zwischen Kalk, Sand und Wasser, doch er hatte noch eine andere Spezialität: Rosshaar und Schweineblut. Jacob Andersen meinte nämlich, dass Haare und Blut den Putz banden und ihm eine besondere Stärke verliehen. Es war nicht auf seinem Mist gewachsen, was er eines Tages den kopfschüttelnden Kollegen erzählt hatte; schon seine schottischen Vorfahren hatten die gleichen Zutaten verwendet, allerdings von Schafen. Und obgleich er seinen schottischen Namen aufgegeben und den seines Meisters angenommen hatte, sah er keinen Grund, auf sechshundert Jahre Erfahrung zu verzichten. Einige seiner Kollegen hielten es für unmoralisch, andere sahen ihn gar im Bunde mit dem Teufel, doch die meisten lachten nur über ihn. Vielleicht waren sie es, die als Erste eine Geschichte in Umlauf brachten, die sich nachweislich in der aufstrebenden Stadt halten sollte, welche damals noch den Namen Kristiania trug.

Ein Kutscher aus Grünerløkka hatte seine Cousine aus Värmland geheiratet, und gemeinsam waren sie in eine Einzimmerwohnung mit Küche in der Seilduksgata gezogen, in eines der Häuser, bei deren Bau Andersen geholfen hatte. Das erste Kind des Ehepaares war so dumm, mit dunklen Locken und braunen Augen auf die Welt zu kommen, und da beide Ehepartner blond und blauäugig waren – und der Mann überdies von eifersüchtiger Natur –, band er seiner Frau eines Nachts die Hände auf den Rücken, nahm sie mit in den Keller und mauerte sie ein. Ihre Schreie wurden von den dicken Lehmziegelwänden gedämpft, die sie auf beiden Seiten einschlossen. Ihr Ehemann hatte vermutlich gehofft, sie würde ersticken, doch wenn die Maurer damals eins beherrschten, dann war es, für gute Belüftung zu sorgen. Zu guter Letzt war die arme Frau mit ihren Zähnen auf die Mauer losgegangen, was vielleicht sogar etwas hätte nutzen können, da der Schotte Andersen Blut und Haare verwendete und glaubte, deshalb teuren Kalk sparen zu können. Die poröse Wand begann sich nun unter dem Angriff starker, värmländischer Zähne aufzulösen. Aber in ihrer Gier nach Leben nahm die Frau zu viel Mörtel und Ziegelmasse in den Mund. Zuletzt konnte sie weder kauen noch schlucken oder ausspucken, und so verschlossen ihr Sand, Grus und Stücke gebrannten Lehms die Atemwege. Ihr Gesicht lief blau an, das Herz schlug langsamer, und schließlich hörte sie auf zu atmen.

Sie war das, was die meisten als tot bezeichnen würden.

Doch der Sage nach führte das Schweineblut dazu, dass die unglückliche Frau sich noch immer am Leben wähnte. Und so glitt sie von da an ungeachtet ihrer Fesseln durch die Wand und begann zu spuken. Unter den alten Leuten in Grünerløkka erinnerten sich viele aus ihrer Kindheit an die Geschichte von der Frau mit dem Schweinskopf. Sie geisterte mit einem Messer in der Hand herum und schnitt Kindern den Kopf ab, die noch zu später Stunde draußen waren. Denn ohne den Geschmack des Blutes in ihrem Mund wäre sie vollends dahingeschwunden. Die wenigsten allerdings kannten den Namen von Maurer Andersen, der unbekümmert damit fortgefahren war, seine Spezialmischung anzurühren. Als er drei Jahre nach dem Bau des Hauses, in dessen Mauerwerk nun das Wasser eindrang, von einem Gerüst fiel, hinterließ er zweihundert Kronen und eine Gitarre. Es sollte fast weitere hundert Jahre dauern, bis Maurer begannen, künstliche, haarähnliche Fasern in ihren Zementmischungen zu verwenden, und man in einem mailändischen Laboratorium herausfand, dass die Mauern von Jericho mit Blut und Kamelhaar verstärkt worden waren.

Das meiste Wasser versickerte nicht in der Wand, sondern rann nach unten. Denn Wasser, Feigheit und Gier suchen immer den geringsten Widerstand. Erste Tropfen wurden von dem klumpigen, pulverigen Lehm zwischen den Balkenlagen des obersten Stockwerks aufgesogen, doch es kamen immer mehr nach, und der Lehm war bald gesättigt. Das Wasser drang durch und weichte eine Zeitung vom 11. Juli 1898 auf, in der verkündet wurde, dass die Baukonjunktur in Kristiania wohl ihren Gipfel erreicht hatte und dass den skrupellosen Gebäudespekulanten hoffentlich schwierigere Zeiten bevorstünden. Auf Seite drei hieß es zudem, dass die Polizei noch immer keine Spur in dem Mordfall der jungen Näherin hatte, die eine Woche zuvor erstochen in ihrem Badezimmer aufgefunden worden war. Im Mai war ein Mädchen, das in gleicher Weise geschändet und dann ermordet worden war, am Fluss Akerselva gefunden worden, doch die Polizei wollte sich nicht dazu äußern, ob es zwischen den beiden Fällen eine Verbindung gab.

Das Wasser troff von der Zeitung durch die Balken darunter auf die Rückseite der mit Ölfarbe angestrichenen Deckenverkleidung. Da diese im Zuge des Wasserschadens 1968 durchlässig geworden war, sickerte das Wasser hindurch und bildete Tropfen, die hängen blieben, bis sie so schwer waren, dass ihr Gewicht die Oberflächenspannung überwand und sie drei Meter und acht Zentimeter in die Tiefe stürzten. Dort landete schließlich das Wasser. Im Wasser.

Vibeke Knutsen zog gierig an der Zigarette und blies den Rauch durch das offene Fenster in der vierten Etage. Es war Nachmittag, warme Luft stieg von dem sonnengedörrten Asphalt des Hinterhofs auf und nahm den Rauch ein Stück weit mit in die Höhe, bis er sich vor der hellblauen Fassade auflöste. Von der anderen Seite des Daches drangen die Geräusche vereinzelter Autos auf dem sonst so befahrenen Ullevålsvei herüber. Doch jetzt waren Ferien, und die Stadt war beinahe menschenleer. Eine Fliege lag auf der Fensterbank, alle sechs Beine von sich gestreckt. Sie war nicht klug genug gewesen, die Hitze zu meiden. Auf der Seite der Wohnung, die auf den Ullevålsvei hinausging, war es kühler, doch dort gefiel Vibeke die Aussicht auf den Vår Frelsers Friedhof nicht. Lauter berühmte Menschen. Tote berühmte Menschen. Im Erdgeschoss des Hauses befand sich ein Geschäft, in dem "Monumente" verkauft wurden, wie es auf dem Schild hieß, also Grabsteine. Marktnähe nennt man das wohl.

Vibeke legte die Stirn an die kühle Fensterscheibe.

Sie hatte sich gefreut, als es endlich warm geworden war, aber aus der Wärme war rasch Hitze geworden. Bereits jetzt sehnte sie sich nach kühleren Nächten und Menschen auf den Straßen. Heute waren nur acht Kunden in der Galerie gewesen, fünf vor der Mittagspause und drei danach. Aus reiner Langeweile hatte sie anderthalb Schachteln Zigaretten geraucht. Ihr Herz raste, und ihr Hals brannte derart, dass sie, als ihr Chef anrief und wissen wollte, wie das Geschäft lief, nur schwer sprechen konnte. Doch als sie zu Hause ankam und die Kartoffeln aufsetzte, meldete sich das Verlangen schon wieder.

Vibeke hatte zwei Jahre zuvor mit dem Rauchen aufgehört, als sie Anders begegnet war. Er hatte sie nicht darum gebeten. Ganz im Gegenteil. Bei ihrer ersten Begegnung auf Gran Canaria hatte er sogar eine Zigarette von ihr geschnorrt. Einfach so zum Spaß. Und als sie einen Monat später in Oslo zusammengezogen waren, hatte er als Erstes gesagt, dass ihre Beziehung das bisschen Passivrauchen wohl ertragen müsse. Und dass die Krebsforscher sicher übertrieben. Und dass er sich mit der Zeit bestimmt an den Rauchgeruch ihrer Kleider gewöhnen werde. Tags darauf stand ihr Entschluss fest. Als er ein paar Tage später beim Essen bemerkte, es sei lange her, dass er sie zuletzt mit einer Zigarette gesehen habe, hatte sie geantwortet, sie habe eigentlich nie wirklich geraucht. Anders hatte sich mit einem Lächeln über den Tisch gebeugt und ihr über die Wange gestrichen: "Weißt du was, Vibeke? Das hatte ich die ganze Zeit über im Gefühl."

Sie hörte es hinter sich im Topf brodeln und warf einen Blick auf die Zigarette. Noch drei Züge. Sie nahm den ersten. Es schmeckte nach nichts.

Sie erinnerte sich nicht mehr daran, wann sie wieder begonnen hatte zu rauchen. Vielleicht im letzten Jahr, etwa zu der Zeit, als er anfing, seine Geschäftsreisen auszudehnen. Oder war das an Neujahr gewesen, als er beinahe jeden Abend Überstunden gemacht hatte? Weil sie unglücklich war? War sie unglücklich? Sie stritten nie miteinander. Sie schliefen auch so gut wie nie mehr miteinander, doch das habe mit der vielen Arbeit zu tun, hatte Anders gesagt und das Thema damit beendet. Nicht dass es ihr wirklich fehlte. Wenn sie ein seltenes Mal den halbherzigen Versuch dazu unternahmen, schien er überhaupt nicht anwesend zu sein. Daraus hatte sie geschlossen, dass auch sie eigentlich nicht da sein musste.

Aber sie stritten nie. Anders mochte es nicht, wenn man laut wurde.

Vibeke sah auf die Uhr. Viertel nach fünf. Wo er nur blieb? In der Regel sagte er wenigstens Bescheid, wenn es spät wurde. Sie drückte die Zigarette aus, ließ sie in den Hinterhof fallen, drehte sich zum Ofen um und sah nach den Kartoffeln. Stach mit einer Gabel in die größte. Fast fertig. Ein paar kleine schwarze Klümpchen dümpelten im Kochwasser. Merkwürdig. Kamen die aus den Kartoffeln oder aus dem Topf?

Sie überlegte gerade, wofür sie den Topf zuletzt verwendet hatte, da ging die Tür auf. Aus dem Flur hörte sie raschen Atem. Jemand streifte sich die Schuhe ab.

Anders kam in die Küche und machte den Kühlschrank auf. "Und?", sagte er fragend.

"Fleischbällchen."

"Okay ..." Es klang wie ein Fragezeichen. Sie wusste warum. Schon wieder Fleisch? Sollten wir nicht öfter Fisch essen?

"Das wird sicher lecker", sagte er tonlos und beugte sich über den Topf.

"Was hast du gemacht, du bist ja vollkommen verschwitzt?"

"Ich kann heute Abend nicht zum Sport und bin deshalb mit dem Fahrrad zum Sognsvann hoch und wieder runter. Was sind das für Klumpen im Wasser?"

"Keine Ahnung", sagte Vibeke. "Ich habe sie auch gerade erst bemerkt."

"Keine Ahnung? Ich dachte, du wärest fast mal Köchin geworden?" Blitzschnell fischte er einen der Klumpen mit Daumen und Zeigefinger aus dem Wasser und steckte sich die Finger in den Mund.

Sie starrte auf seinen Hinterkopf. Auf sein dünnes, braunes Haar, das ihr in der ersten Zeit so gut gefallen hatte. Gepflegt und kurz genug geschnitten. Mit Seitenscheitel. Er hatte so ordentlich ausgesehen. Wie einer mit Zukunft. Einer für mehr als nur eine Nacht.

"Nach was schmeckt es?", fragte sie.

"Nach nichts", sagte er, noch immer über den Herd gebeugt. "Nach Eiern."

"Eiern? Aber ich habe den Topf ge ..." Sie hielt plötzlich inne.

Er drehte sich um. "Was ist?"

"Es ... tropft." Sie deutete auf sein Haar.

Er runzelte die Stirn und fuhr sich mit der Hand über den Hinterkopf. Dann legten sie wie auf Kommando die Köpfe in den Nacken und blickten an die Decke. Dort hingen zwei Tropfen. Vibeke, die etwas kurzsichtig war, hätte sie gewiss nicht entdeckt, wenn sie durchsichtig gewesen wären. Doch das waren sie nicht.

"Sieht aus, als gäb's bei Camilla eine Überschwemmung", sagte Anders. "Du solltest hochgehen und klingeln, ich versuch dann den Hausmeister zu erreichen."

Vibeke blinzelte an die Decke. Und warf dann einen Blick auf die Klümpchen in ihrem Topf. "Mein Gott", flüsterte sie und spürte, dass ihr Herz zu rasen begann.

"Was ist jetzt schon wieder?", fragte Anders.

"Hol du den Hausmeister, dann könnt ihr gemeinsam bei Camilla klingeln. Ich rufe die Polizei."

CHAPTER 2

Freitag. Ferienliste

Das Polizeipräsidium im Stadtteil Grønland, der Hauptsitz des Polizeidistrikts Oslo, lag auf einem Höhenzug, der sich von Grønland bis hinauf nach Tøyen zog. Von hier aus hatte man eine gute Aussicht auf die östlichen Viertel der Innenstadt. Das Gebäude, ganz aus Glas und Stahl erbaut, wurde seit 1978 genutzt. Hier war nichts schief, sondern alles bis in den letzten Winkel korrekt, wofür die Architekten Telje-Torp-Aasen eine Auszeichnung erhalten hatten.

Der Fernmeldetechniker, der in den beiden sieben und neun Stockwerke hohen Büroflügeln die Kabel verlegt hatte, war vom Gerüst gestürzt, hatte sich das Rückgrat gebrochen und bekam eine Berufsunfähigkeitsrente – und eine Standpauke von seinem Vater.

"Seit sieben Generationen sind wir jetzt Maurer, sind zwischen Himmel und Erde balanciert, haben der Schwerkraft getrotzt, bis sie uns zu Boden riss. Mein Großvater hat versucht, diesem Fluch zu entgehen, doch er verfolgte ihn über die Nordsee bis hierher. Deshalb habe ich bei deiner Geburt geschworen, dass du nicht zu diesem Schicksal verdammt sein solltest. Und ich dachte, ich hätte es geschafft. Telefontechniker. Was zum Teufel hat ein Fernmeldetechniker sechs Meter über dem Boden verloren?"

Durch das Kupfer ebenjener vom Sohn verlegten Leitungen kam an diesem Tag das Signal von der Notrufzentrale. Es schoss durch die Etagendecken, die aus Industriebeton gegossen waren, bis hinauf in die sechste Etage, in das Büro von Bjarne Møller, dem Leiter des Dezernats für Gewaltverbrechen. Møller grübelte gerade darüber nach, ob er sich auf die bevorstehenden Familienferien in der Hütte in Os vor den Toren Bergens freuen oder ob ihm davor grauen sollte. Os im Juli bedeutete mit großer Wahrscheinlichkeit Scheißwetter. Dabei hatte Bjarne Møller gar nichts dagegen, die für Oslo angekündigte Hitzewelle gegen ein wenig Sprühregen einzutauschen. Aber zwei höchst lebhafte kleine Jungen bei Dauerregen ohne andere Hilfsmittel als ein Kartenspiel bei Laune zu halten, dem überdies der Herz-König fehlte, war wirklich eine Herausforderung.

Bjarne Møller streckte die langen Beine aus und kratzte sich hinter dem Ohr, während er sich auf die Nachricht konzentrierte. "Wie haben die das entdeckt?", fragte er.

"Es hat getropft, beim Mieter drunter", antwortete die Stimme aus der Notrufzentrale. "Der Hausmeister und ein Nachbar haben geklingelt, aber es hat keiner geantwortet. Da die Tür unverschlossen war, sind sie schließlich hineingegangen."

"In Ordnung. Ich schicke zwei meiner Leute." Møller legte auf, seufzte und fuhr mit einem Finger die Liste der Diensthabenden entlang, die unter einer Plastikhülle auf seinem Schreibtisch lag.

Das halbe Dezernat war verwaist. Wie jedes Jahr in den Sommerferien. Was freilich nicht bedeutete, dass die Bewohner Oslos jetzt in Lebensgefahr schwebten, denn auch die Verbrecher der Stadt schienen etwas von Sommerferien zu halten. Jedenfalls war der markante Rückgang der Straftaten, die in den Zuständigkeitsbereich des Dezernats für Gewaltverbrechen fielen, anders kaum zu erklären.

Møllers Finger stoppte unter dem Namen Beate Lønn. Er wählte die Nummer der Kriminaltechnik in der Kjølberggata. Niemand hob ab. Er wartete, bis der Anruf an die Zentrale weitergeleitet wurde.

"Beate Lønn ist im Labor", sagte eine helle Stimme. "Hier ist Møller vom Morddezernat. Holen Sie sie bitte."

Møller wartete.

(Continues…)



Excerpted from "Das fünfte Zeichen"
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