"Ich mag, wenn's kracht.": Jürgen Klopp. Die Biographie

by Raphael Honigstein

"Ich mag, wenn's kracht.": Jürgen Klopp. Die Biographie

by Raphael Honigstein

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Overview

Die erste große Biographie des leidenschaftlichen Erfolgstrainers
Menschen motivieren, zu Höchstleistungen bringen, zu Siegern machen — kaum jemand kann das besser als Jürgen Klopp. Was ihn antreibt, ist der maximale Erfolg. Er hat den BVB wieder groß gemacht und lässt den FC Liverpool in neuem Glanz erscheinen. Diese Lust auf den Erfolg, die Gier aufs Gewinnen steckt Klopp im Blut. Der renommierte Sportjournalist und Fußballkenner Raphael Honigstein hat Jürgen Klopp auf all seinen Stationen in Mainz, Dortmund und Liverpool intensiv begleitet — und hat einen exklusiven Zugang zum persönlichen Umfeld des Startrainers. In seiner lebendig erzählten Biographie bringt er uns den leidenschaftlichen Macher Jürgen Klopp so nah wie nie zuvor und beschreibt die Erfolgsprinzipien und -regeln des sympathischen »Normal One«.


Product Details

ISBN-13: 9783843716055
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 11/17/2017
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 280
File size: 5 MB
Language: German

About the Author

Raphael Honigstein, geboren 1973 in München, lebt seit vielen Jahren in London, ist Sportjournalist, TV-Experte und Autor. Für die "Süddeutsche Zeitung" schreibt er über den englischen Fußball, für den "Guardian" über den deutschen. Bei Ullstein ist von ihm außerdem der Titel "Der vierte Stern. Wie sich der deutsche Fußball neu erfand" erschienen.

Raphael Honigstein, Jahrgang 1973, lebt seit vielen Jahren als Journalist, Fernsehexperte und Autor in London. Er berichtet u. a. für den SPIEGEL, The Athletic, SKY Deutschland und den BT Sport über den englischen und deutschen Fußball. 2017 erschien sein internationaler Bestseller über Jürgen Klopp, Ich mag, wenn's kracht.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Die Überraschung

Glatten 1967

Der Schwarzwald ist nicht schwarz. Genau genommen ist er nicht mal ein Wald. Jedenfalls heute nicht mehr. Vor 1800 Jahren drangen als Erste die Alemannen in diese düstere, überwucherte Wildnis vor, die den Römern so viel Furcht eingeflößt hatte. Sie rodeten den Wald, um Platz zu schaffen für Kühe und Siedlungen. Keltische Missionare aus Schottland und Irland, bewaffnet mit Äxten und ihrem Glauben, stießen weiter in das Landesinnere vor, bis die Natur bezwungen und das Böse gezähmt war. Heute liefern die Reste der Dunkelheit nur noch den Rohstoff für Alpträume von Kindern und für Kuckucksuhren.

Aus allen Teilen des Landes und auch aus dem Ausland strömen Touristen in diese Mittelgebirgslandschaft in der südwestlichen Ecke Deutschlands, um ihre Lungen und Seelen vom städtischen Schmutz zu reinigen. Nach dem Krieg wurde der Schwarzwald eine beliebte Anlaufstelle für die Filmbranche, die auf der Suche nach schönen, idyllischen Kulissen war, und ein idealer Standort für echte oder imaginäre Kliniken. Einer dieser Orte, an denen Phantasie und Realität auf magische Weise miteinander verschmelzen konnten.

Tatsächlich ist sie noch heil, die Welt – im schmucken Städtchen Glatten im Nordschwarzwald. Die blitzsauberen weißen Häuser mit ihren lebkuchenförmigen Dächern und Holzbalkonen, die sich an die Hänge schmiegen, wachen hier über den unendlichen grünen Hügeln. »Andere bauen ihr Haus auf dem Hügel, damit man die Pracht auch gut sehen kann. Der Schwabe dagegen baut das Haus in den Hang hinein, damit die Nachbarn nicht sehen können, wie viele Quadratmeter er wirklich hat«, so erklärt der frühere Grünen-Politiker Rezzo Schlauch die Bescheidenheit der Einheimischen, seiner Landsleute. »Beim Schwaben steht der neue Mercedes in der Garage und der VW vor dem Haus.«

Der Fluss Glatt (althochdeutsch für »klar, glänzend, rein«) kommt von Norden und fließt an der stahlverkleideten Fassade der J. Schmalz GmbH (Vakuumtechnologie) vorbei, hinein in das Städtchen, das ihm seinen Namen verdankt. Er ist ein diskreter Begleiter der Hauptstraße (an der sich ein Autohändler, eine Bank, eine Bäckerei, ein Metzger, ein Blumenladen und ein Döner-Imbiss befinden), speist etwas widerwillig einen kleinen See und verlässt die Stadt hinter dem Sportplatz von Böffingen, einem kleinen Dorf, das nach Glatten eingemeindet wurde.

Das Klima ist schwierig, es regnet viel. Die Idylle musste der Natur abgerungen werden. Es gibt grüne Weiden hier, Getreidefelder, Schweinezuchtbetriebe und Menschen mit furchterregender Entschlossenheit und großer Genügsamkeit, ein außergewöhnlich zäher deutscher Menschenschlag, der härter als hart arbeitet und sich durch nichts aus der Bahn werfen lässt. »Schaffe, schaffe, Häusle baue« – wohl in keinem anderen Landstrich kann dieses Motto größere Gültigkeit beanspruchen.

»Tag und Nacht zu schaffen gehört zum Schwaben, das hat seinen Ursprung in der Geschichte«, sagt Schlauch. »Und darin lassen sich auch die Gründe finden, warum Schwaben solch erfolgreiche Tüftler und Erfinder sind. In anderen Gegenden erbten immer die Ältesten die Höfe der Eltern. In Schwaben wurde gerecht und real geteilt. Das bedeutete, die Erbstücke wurden immer kleiner, und irgendwann konnte man davon nicht mehr leben. Die Nachkommen mussten sich in anderen Berufen üben, was die Tüftler und Erfinder hervorbrachte, also Leute, die nach neuen Lösungen suchen für alte Probleme.«

Hier ist es üblich, dass man alles gewissenhaft und ernsthaft macht. Das gilt auch für Spaß und Unterhaltung. Einer der vierzehn aktiven Vereine in Glatten widmet sich dem Karneval. In einem anderen sammeln sich die Freunde des Deutschen Schäferhunds.

Schuppen säumen eine kleine Straße, auf der dicke Erdklumpen liegen, die von Traktoren hinterlassen wurden, und dann taucht es auf, unmittelbar neben einem Feld: das »Haarstüble« von Isolde Reich. Ein kleiner Friseursalon und Treffpunkt, wo auch Socken verkauft werden, die eine Freundin der Inhaberin selbst strickt. Die Erlöse werden für den Kauf von Schuhen für Obdachlose gespendet.

Isolde Reich wurde 1962 als jüngere von zwei Schwestern in Glatten geboren. Ihr Vater Norbert, ein talentierter Fußballtorwart, der beim 1. FC Kaiserslautern ein Probetraining absolvierte, war ein Sportbesessener. Da er von seinem Vater in seinem Eifer gebremst wurde – dieser habe darauf bestanden, dass Norbert einen anständigen Beruf lernte und nicht versuchen solle, Profifußballer zu werden, erzählt Isolde Reich –, war seine Fußballkarriere schon vorbei, bevor sie richtig begonnen hatte. Doch seine Begeisterung für den Sport ließ er sich nicht nehmen. Er spielte Amateurfußball, Handball und Tennis und versuchte auch seiner Familie diese Leidenschaft zu vermitteln. Als seine Frau Elisabeth und seine erste Tochter Stefanie keinerlei Neigung zeigten, irgendeinen Sport zu betreiben, richtete Norbert seine Hoffnungen ganz auf Isolde. »In mein Kinderalbum schrieb er ›Isolde, eigentlich solltest du ein Junge werden‹«, erzählt sie lächelnd. »Ich war das erste Mädchen in Glatten, das Fußballtraining machte.«

Norbert war ihr Trainer, seine Methoden waren anspruchsvoll und fordernd. Er ließ die fünfjährige Isolde auf einem Sportplatz am Fluss, wo ein schwerer alter Ball an einem Seil an einem grünen Eisenbalken hing, Kopfbälle üben. Wenn ihre Körperhaltung nicht richtig war oder sie die Arme zu weit oben hielt, musste sie eine Strafrunde um den Platz laufen. »Er war hart, aber gerecht. Ein Mann mit Prinzipien und extrem leidenschaftlich«, erzählt sie heute.

Im Sommer 1967 musste Mutter Elisabeth die Familie für einen Monat verlassen. Sie war abermals schwanger. Weil bei der Geburt Komplikationen drohten, fuhr sie in ein Krankenhaus in Stuttgart, achtzig Minuten nordwestlich von Glatten. Das nächste Krankenhaus in Freudenstadt, nur acht Kilometer entfernt, war nicht ausgerüstet für Geburten per Kaiserschnitt. Stefanie und Isolde fiel es schwer, so lange ohne ihre Mutter zurechtzukommen. »Uns wurde daher versprochen: Wenn die Mutter wiederkommt, bringt sie was ganz, ganz Tolles mit.«

Doch als Norbert und Elisabeth wieder zu Hause ankamen, hielten sie ein kleines Baby auf dem Arm, das wie am Spieß brüllte. Nach einer Stunde fragten sich die beiden Schwestern, ob man dieses Wesen nicht zurückbringen und gegen etwas anderes umtauschen könnte. Ein kleiner, schreiender Bruder – was für eine miserable Überraschung!

Aber Isolde wurde schnell klar, dass sie an diesem Tag mehr als nur ein zweites, unerträglich lautes Geschwisterchen bekommen hatte. »Ab sofort stand Jürgen im Sport-Fokus des Vaters. Ich wurde vom Training am Kopfball-Pendel entbunden und durfte stattdessen Ballett tanzen und Leichtathletik machen. So gesehen war die Geburt von Jürgen mein Glück. Ich war befreit.«

CHAPTER 2

Rosenmontag: Stunde null

Mainz 2001

Christian Heidel gefällt die Geschichte so sehr, dass er sich allmählich fragt, ob sie so wirklich stimmt. »Ich könnte als Mainzer jetzt ja sagen, wir denken uns das mal aus. Das war aber so«, sagt er und nimmt Anlauf für einen großen Sprung: weg von seinem eher kargen Büro in der Geschäftsstelle von Schalke 04, mitten rein in eine Stadt, die lustvoll durch den Konfettiregen torkelt, während eine kleine, erfolglose Zweitligamannschaft die Party vierzig Autominuten entfernt im provinziellen, gewollt unprickelnden Exil verpasst.

Am 25. Februar 2001, einen Tag vor Rosenmontag, hatte der FSV Mainz 05 bei seinem Angstgegner SpVgg Greuther Fürth im Playmobilstadion mit 1:3 verloren. »Kloppo war leicht verletzt und war der schlechteste Mann auf dem Platz. Er musste zwanzig Minuten vor Spielende ausgewechselt werden«, erzählt Heidel. Durch die Niederlage rutschte Mainz auf einen Abstiegsplatz. »Wir waren mal wieder am Arsch«, erinnert sich der ehemalige FSV-Manager. Es gab keine Hoffnung mehr da ganz unten, kein Licht. »Wir hatten 3000 Zuschauer im Schnitt. Keiner hat sich mehr für Mainz interessiert. Alle waren überzeugt, dass wir absteigen.«

Eckhard Krautzun, der weitgereiste Trainer der Mainzer (man nannte ihn den »Weltenbummler«), hatte befürchtet, dass die Verlockungen der Fastnacht die Mannschaft vor dem schweren Spiel in Duisburg am Aschermittwoch zu sehr ablenken könnten. Das Team wurde ausquartiert. »Nachdem wir das Spiel in Fürth verloren haben, kochte die Stimmung in Mainz. Da war klar, entweder gibt es jetzt einen Trainerwechsel, oder die Mannschaft kriegt ordentlich Feuer. Wir haben uns dann drei Tage in einem Hotel in Bad Kreuznach abgeschottet, damit keiner draußen unterwegs ist«, erinnert sich der Mainzer Mittelfeldspieler Jürgen Kramny, damaliger Zimmergenosse von Jürgen Klopp.

Christian Heidel war zu Hause in Mainz geblieben. Nach Feiern war ihm jedoch nicht zumute. Die Lage war viel zu düster, um sich ins närrische Treiben zu stürzen. Dass der Trainer würde gehen müssen, war klar. Krautzun war durchaus ein angenehmer Mensch, ein erfahrener Fußballlehrer, der in einem Jubiläumsspiel von Al-Ahli in Saudi-Arabien auch schon Diego Maradona trainiert hatte, abgesehen von den Nationalmannschaften von Kenia und Kanada und zahlreichen Klubs weltweit. Aber sechs Punkte in neun Spielen seit seinem Amtsantritt im November waren eine sehr magere Ausbeute. 05 belegte wieder einen Abstiegsrang. Darüber hinaus wusste Heidel, dass sich Krautzun den Job gewissermaßen erschlichen hatte.

Krautzuns Vorgänger, der ehemalige belgische Nationalspieler René Vandereycken, war ein mürrischer, einsilbiger Mann, dessen Weigerung, mit den Spielern und den Vorstandsmitgliedern zu reden, nur noch durch seinen Widerwillen übertroffen wurde, ein stimmiges Spielsystem zu entwickeln. Er wurde in der Saison 2000/01 nach zwölf Spielen entlassen, die nur mickrige zwölf Punkte eingebracht hatten, Mainz war damit bereits mitten im Abstiegskampf. Heidel wollte einen Nachfolger, der das erfolgreiche System der Viererkette und Raumdeckung wiederbelebte, das der ehemalige Mainzer Trainer Wolfgang Frank vor sechs Jahren eingeführt hatte, eine Taktik, die in der Bundesliga damals als so modern und fortschrittlich galt, dass niemand so richtig wusste, wie man sie praktisch umsetzen konnte.

Heidel erzählt: »Ich habe jedem erzählt, dass ich einen Trainer brauche, der versteht, wie die Viererkette funktioniert. Einen, der das den Spielern beibringen kann. Und irgendwann ruft Krautzun an. Ich muss gestehen, dass ich an den überhaupt nicht mehr gedacht habe. Er war vorher bei Kaiserslautern, und das hat nicht funktioniert. Aber er hat mich so lange überredet, bis ich eingewilligt habe, mich mit ihm in Wiesbaden zu treffen. Und da hat er mir dann alles genaustens über die Viererkette erklärt. Ich dachte: Leck mich am Arsch, der weiß das ja wirklich! Ich wusste ja von Franks Training, wie die Übungen dazu aussahen. Also hab ich ihn zum Trainer gemacht. Zwei Wochen später kam Klopp zu mir und erzählte: ›Der Krautzun hat mich vor einem Monat angerufen und drei Stunden mit mir telefoniert. Der wollte wissen, wie die Viererkette geht.‹ Und so hat sie dann auch ausgesehen: Am Anfang haben wir noch ein, zwei Spiele gewonnen, und dann ging es bergab.«

Sich von Krautzun zu trennen war die vernünftige und leichte Entscheidung. Den richtigen Nachfolger zu finden war wesentlich schwieriger. Heidel durchstöberte einen ganzen Berg von Kicker-Jahresheften in der Hoffnung, einen geeigneten Kandidaten ausgraben zu können. »Damals gab es ja noch kein Internet. Du hast nicht gewusst, wer ist denn eigentlich Trainer in Brügge gerade. Die waren sowieso fünf Nummern größer als wir zu diesem Zeitpunkt. Das war damals einfach anders. Es gab auch kaum ausländische Trainer in Deutschland. Du hast immer im selben Teich gefischt.« Nach einer Weile legte Heidel die Zeitschriften beiseite und gestand sich sein Scheitern ein. »Dann habe ich gedacht, die einzige Chance wäre, dass wir wieder so spielen wie beim Wolfgang. Aber ich fand niemanden.«

Vielleicht kam Heidel der zündende Einfall, als er die Narren beobachtete, die an diesem Tag durch die Straßen von Mainz zogen. Der einzig logische, noch verbleibende Schritt in dieser ausweglosen Lage war, das offenkundig Verrückte zu probieren. Wenn sich kein geeigneter Trainer auftreiben ließ, sollte man es mal ohne einen Trainer versuchen?

»Und dann habe ich überlegt: Machen wir doch etwas völlig Spektakuläres. Trainieren wir uns selbst.« Es gab ja schon »ein paar richtig gute Jungs in der Mannschaft, intelligente Typen«, erzählt er, diese mussten nun jene Spieler, die nach Franks Zeit zum Verein gekommen waren, eben selbst unterweisen. Aber Fußball war immer noch Fußball, und einer musste das Sagen haben. Heidel überlegte, ob er selbst den Posten übernehmen sollte. »Ich hätte es denen durchaus beibringen können, so viele von Wolfgangs Trainingseinheiten habe ich erlebt. Aber ich hatte ja weder ein Bundesligaspiel noch ein Oberligaspiel in meiner Karriere absolviert. Das hätte doof ausgesehen. Deshalb habe ich dann Kloppo im Trainingslager in Bad Kreuznach angerufen. Der wusste überhaupt nicht, was auf ihn zukam.«

Heidel informierte den erfahrenen Rechtsverteidiger, dass es mit Krautzun nicht weiterging und dass ein Trainerwechsel unabdingbar war. »Ich habe ihm ganz ehrlich gesagt: Ich glaub, wir sind untrainierbar. Das, was wir spielen wollen, versteht hier in Deutschland keiner. Ihr, also du und die Mannschaft, ihr habt das verstanden. Aber mit den Trainern geht es wirklich nicht. Klopp hat überhaupt nicht gewusst, worauf ich hinauswill. Dann habe ich gesagt: ›Was hältst du davon, wenn wir uns selbst trainieren? Aber einer muss da vorne stehen, und das machst du.‹ Er zögerte ein paar Sekunden. Dann sagte er: ›Geile Idee. Das machen wir.‹«

Heidel rief Mannschaftskapitän Dimo Wache an, den Torwart. »Eigentlich war ja Kloppo Kapitän, aber Dimo trug die Binde. Dietmar Constantini (der Vorgänger von Krautzun) hatte sie Klopp abgenommen, weil der sich immer über die Taktik beschwerte. Der hat ihn auch auf die Bank beordert. Das geht gar nicht, Kloppo auf der Bank. Wenn der heute meckert, dass seine Spieler meckern ... Man hätte ihn mal erleben sollen, als er selbst auf der Bank saß.«

Harald Strutz, damals der Präsident des FSV Mainz, ging gerade seinen karnevalistischen Pflichten als führendes Mitglied der Ranzengarde nach, als sein Telefon klingelte. »Heidel hat mich angerufen: ›Pass auf, wir müssen den Trainer dringend wechseln‹«, erzählt Strutz in seinem Büro im Verwaltungsgebäude des Vereins, in einem Gewerbegebiet außerhalb der Stadt. In der Eingangshalle steht eine Vitrine mit Fanartikeln des FSV, darunter eine Monopoly-Version mit Heidel und Klopp auf der Schachtel. »Eckhard Krautzun hat sich da sehr fair verhalten. Er wollte zwar Trainer bleiben, aber wir haben gesagt, dass es nicht mehr geht. Dann habe ich meine Uniform ausgezogen, und wir sind nach Bad Kreuznach gefahren. Am Rosenmontag feiert eigentlich jeder in Mainz, das bedeutet aber nicht, dass jeder hier betrunken ist. Ich war jedenfalls nicht betrunken, sonst wäre ich nicht mehr gefahren. Wir haben Kloppo gefragt: ›Traust du dir das zu?‹ Er hat keine Sekunde gezögert: ›Klar, mach ich.‹«

Strutz hält kurz inne, noch immer erstaunt über die Tragweite der wichtigsten Entscheidung, die er je in seinem Amt getroffen hat. Er ist Kommunalpolitiker, Mitglied der FDP und arbeitet als Rechtsanwalt, auf seinem Konferenztisch steht ein Exemplar des Bürgerlichen Gesetzbuchs: Strutz ist ein grundseriöser Mann. Eigentlich nicht die Art von Fußballboss, die sich von einer Schnapsidee des Sportdirektors mitreißen lässt. »Es ist schon eine besondere Geschichte«, sagt er. »Aber so hat das eben angefangen. Wenn Sie wüssten, wie es damals hier ausgesehen hat ... Es war ja schon eine große Leistung, dass die ganze Mannschaft überhaupt zusammengeblieben ist. Ein außerordentlicher Start für so eine Trainerkarriere. Und diese Außergewöhnlichkeit sprudelt mir immer noch ins Gedächtnis.«

Die zehn Lokaljournalisten, die sich am nächsten Tag zur Pressekonferenz in Bad Kreuznach einfanden, waren weniger euphorisch gestimmt. Heidel: »Die haben schon gewusst, was los ist. Wir haben dann die Trainerentlassung bestätigt. Und dann sagt der eine, Reinhard Rehberg, der ist heute noch Journalist in Mainz: Was macht denn Klopp hier? Die haben gedacht, wir machen mit dem Co-Trainer eine Übergangslösung. Und dann habe ich gesagt: ›Der Kloppo wird jetzt Trainer.‹ Der ganze Tisch hat gegrölt. Alle haben gelacht. Am nächsten Tag sind wir in den Zeitungen verarscht worden. Man glaubt ja immer, dass wegen Klopp alle jubeln, aber das war noch nicht der Klopp von heute, sondern der Kloppo von damals. Er war nur Spieler, er hatte keine Trainerlizenz und Sportwissenschaften studiert.«

Klopp wusste, dass die Reporter ihm nicht zutrauten, Mainz vor dem scheinbar unvermeidlichen Abstieg zu retten. Er machte sich über seine Unerfahrenheit lustig. »Ihr müsst mir sagen, was ich hier sagen soll«, verlangte er von den Pressevertretern mit breitem Grinsen.

»Und dann, das werde ich nie vergessen«, fährt Heidel fort, »als die Journalisten raus waren, sagte Kloppo: ›Wir gehen jetzt trainieren.‹ Dann sind wir zum Friedrich-Moebus-Stadion in Bad Kreuznach gefahren, und ich habe gedacht: ›Ah, das ist wieder Leben in der Bude.‹ Überall haben wieder Stangen auf dem Feld gestanden. Die Mannschaft hat wieder verschoben. Da war mir klar: Wir kehren zurück zu alten Zeiten.«

(Continues…)



Excerpted from "»Ich Mag, Wenn's Kracht«"
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Copyright © 2017 Raphael Honigstein.
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Table of Contents

Über das Buch und den Autor,
Titelseite,
Impressum,
1 Die Überraschung,
2 Rosenmontag: Stunde null,
3 Revolution 09,
4 Der Weg nach Anfield,
5 In den Fußstapfen des Vaters,
6 Wolfgang Frank: Der Lehrmeister,
7 »Schönen guten Tag. Hier ist Jürgen Klopp.«,
8 Pump up the Volume,
9 Starts und Stopps,
10 Feuer am Rhein,
11 Zum Ersten, zum Zweiten und – beinahe – zum Dritten,
12 Chaos und Theorie,
13 Kleine Triumphe auf dem Bildschirm,
14 60 000 Tränen,
15 In Zeiten des abnehmenden Lichts,
16 Liverpool und darüber hinaus,
Danksagung,
Bildnachweis,
Bildteil,
Empfehlung,

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