Der Manndecker

Der Manndecker

by Jörg Menke-Peitzmeyer
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Overview

Einmal nach Bottrop und zurück, bitte!

Kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag liegt Achims Eheleben in Scherben. Der Kontakt zu seinem erwachsenen Sohn ist eingeschlafen und seine Karriere als Schauspieler ist mehr Erinnerung als Realität. Er zieht mit dem Solo-Comedyprogramm "Der Manndecker", das die Geschichte eines alternden, aus der Zeit gefallenen Fußballers erzählt, noch einmal über die Dörfer. Seine Gage verzecht er an den Tresen der Vereinsgaststätten, in denen er auftritt, kaum jemals vor mehr als einer Handvoll Zuschauer. Doch dann engagiert ihn der BVB für seine Saisonabschlussfeier. Und auch in Sachen Liebesleben hält die Reise einiges bereit. Nimmt für Achim doch noch alles eine unerwartete Wendung?


Product Details

ISBN-13: 9783843720243
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 08/30/2019
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 320
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

Jörg Menke-Peitzmeyer, 1966 in Westfalen geboren, studierte Schauspiel und Literarisches Schreiben. Er lebt als freier Autor für Dramatik und Prosa in Berlin und Istanbul. "Der Manndecker" ist nach "Billy the Beast" sein zweiter Roman.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

"Wissen Sie, wo ich das Fußballspielen gelernt habe?"

Die sechs Zuschauer, die sich im Hinterzimmer der Goldenen Sonne eingefunden hatten, sahen aus, als würde sie nichts auf der Welt weniger interessieren. Wobei einer von ihnen auch noch auf die Uhr guckte. Dabei hatte ich gerade erst begonnen.

"Da kommen Sie nie drauf."

An guten Tagen ein Satz, der das Publikum in kollektive Atemlosigkeit versetzte. Aber hier machte es keinen Sinn, die Leute länger auf die Folter zu spannen. Vor allem, wenn sie gar nicht drauflagen.

"Im Hühnerstall."

Jemand gluckste wie ein Huhn. Ich wusste nicht, ob er sich über mich lustig machen oder bloß einen Kommentar abgeben wollte. Dabei brannte an dieser Stelle auch schon mal die Hütte. Zum Beispiel, wenn ein Verein sein hundertjähriges Jubiläum feierte und schon drei Tage vorher mit dem Saufen angefangen hatte. Ich nahm den Ball, den ich erst am Nachmittag im einzigen Sportgeschäft der Kreisstadt gekauft hatte, und jonglierte ihn auf meinen Oberschenkeln. In dem Moment kam die Kellnerin mit einem Tablett herein, auf dem zehn frisch gezapfte Biere standen. Zehn Biere für sechs Leute. Ich versuchte, mich auf den Ball zu konzentrieren. Nach der achten Berührung sprang er mir weg und hüpfte von der Bühnenkante auf das Tablett. Da waren's nur noch drei. Die anderen sieben Biere ergossen sich über die schneeweiße Schürze der Kellnerin. Auf einen Schlag hatte ich das Publikum. Die Leute sahen mich an wie einen Zauberer, der gerade einen unglaublichen Trick vollführt hatte.

"Geht auf meine Rechnung", sagte ich und wusste, dass ich damit gerade gut die Hälfte meiner Abendgage verprasste. Schließlich wurde ich nach Einnahmen bezahlt.

"Die Schürze auch?", fragte die Kellnerin zurück. Das Blinzeln in ihren Augen verriet mir, wie der Abend enden würde. Und das war genau das, was ich brauchte, um die Vorstellung durchzustehen.

"Da staunen Sie, was?", gab ich jetzt Vollgas. "Ich meine, das hätten Sie doch jetzt nicht gedacht, dass ich als Manndecker mit dem Ball umgehen kann, oder? Ich kann Ihnen da noch ganz andere Sachen zeigen. Hab ich alles im Hühnerstall gelernt. Waren Sie schon mal in einem Hühnerstall? Wissen Sie, wie's da aussieht?"

Stille. So als hätte ich sie gefragt, ob sie schon mal im Weißen Haus gewesen wären. Dabei war mir das Dorf beim Durchfahren vorgekommen wie ein einziger großer Bauernhof.

"Vier Meter lang, drei Meter breit, vorne das Stroh, hinten die Hühner und ringsherum alles voller Eier. Da werden Sie schon von den äußeren Umständen zur Technik gezwungen. Und dann erst die Luft. Luft ist gar kein Ausdruck. Da will jeder Atemzug gesetzt sein. Da ist Ökonomie gefragt. Absolute Selbstbeherrschung. Sonst kippen Sie da um. Und von den Viechern ganz zu schweigen. Was glauben Sie, was die für 'ne Angst gehabt haben am Anfang. Die sind herumgeflattert, als würden die jeden Augenblick ans Messer geliefert. Aber da unsereins ja tierlieb ist, war auch von der Seite höchste Konzentration gefordert. Aber allerhöchste Konzentration. Und wenn ich mal so 'n Ding getroffen hab, so 'n Huhn, dann bin ich zur Strafe fünf Runden um den Stall gelaufen. Und hab noch zehn Klimmzüge an der Teppichstange gemacht. Und dann bin ich wieder rein in den Stall, es besser machen."

An dieser Stelle atmete ich einmal tief durch. Ich wusste, die Leute fraßen mir aus der Hand. Nach und nach fixierte ich jeden Einzelnen von ihnen, bevor ich weitersprach.

"Am Schluss haben die keinen Mucks mehr gemacht. Die haben in Ruhe ihre Eier gelegt, während ich trainiert habe. So sicher haben die sich gefühlt. Weil mir der Ball wie Mist an den Füßen geklebt hat."

Mit einem Male hatte ich das Gefühl, als sei ich tatsächlich in einem Hühnerstall. Nur dass ich anstatt Fußball Theater spielte. Aber die Zuschauer machten auch keinen Mucks.

"Und als ich dann zum BVB gewechselt bin, in der B-Jugend, da sind die alle eingegangen, die Hühner. Die haben regelrecht die Flügel hängen lassen. Da konnte mein Vater noch so 'n teures Spezialfutter kaufen. Die haben gewusst, so etwas erleben die nie wieder, in ihrem ganzen Hühnerleben nicht. Und dann haben sie natürlich keinen Sinn mehr darin gesehen, Eier zu legen. Wenn Sie so wollen, bin ich Deutschlands erster und letzter Hühnerstallfußballer."

Ich holte mir den Ball zurück und jonglierte ihn wieder auf meinen Oberschenkeln. Diesmal kam ich auf achtzehn Berührungen. Wie gesagt, ich war in Topform.

CHAPTER 2

"Bärbel, hol noch mal ein westfälisches Gedeck für unseren Hühnerstallfußballer!", rief Anke, die einzige Frau aus dem Publikum, verheiratet mit Uwe, der mir gerade den Arm um die Schultern legte.

"Sach ma, Pelle", lallte er, "wat ich imma scho ma wissen wollte: Wie kann sich bloß ein einzelner Kerl so viel Text merken?"

"Ach", sagte ich, während ich mein siebtes oder achtes Glas vom Tresen nahm, "man darf bloß nicht zu viel saufen. Prost!"

Ich hatte gerade den letzten Schluck genommen, als eine schon reichlich betagte Funktionärsgestalt aus dem Hinterzimmer kam, alte Schule, mit Anzug, Schlips und Kragen und einer Vereinsnadel am Revers.

"Achtung, der GV!", raunte Uwe.

"GV?"

"Der Große Vorsitzende."

Der GV gab mir die Hand.

"Herr Flessenkemper", räusperte er sich, "meinen ganz herzlichen Dank im Namen des gesamten Vereins TuS Kappelstedt für diese gelungene und überaus humorvolle Darbietung."

Das mochte ich an meiner Tournee über die westfälischen Dörfer. Dass ich noch mal einen Blick werfen konnte auf eine untergehende Spezies von Vereinsmeiern. Denn meistens stand ich nachher nicht nur mit Fußballern, sondern auch mit der Freiwilligen Feuerwehr, dem Schützenverein oder der Soldatenkameradschaft am Tresen. Sie rührten mich zu Tränen. Vor allem, wenn ich schon richtig was getankt hatte.

"Besonders die Stelle mit dem Hühnerstall. Einfach köstlich."

Dann überreichte er mir einen Umschlag. Ich war betrunken genug, um gleich reinzuschauen, vor aller Augen.

"Aber es waren doch SECHS Zuschauer",

protestierte ich angesichts der gerade mal fünfzig Euro.

Der GV sah Uwe und Anke an.

"Uwe ist Ehrenmitglied. Unser bester Torschütze aller Zeiten. Der hat natürlich freien Eintritt. Nebst Gattin."

Ich steckte den Umschlag ein. Aber der GV war noch nicht fertig.

"Tut mir leid, aber wir hatten auch mit mehr Zuschauern gerechnet. Vor allem die Frauen sind zu Hause geblieben. Der Manndecker – wer weiß, was die sich gedacht haben. Wir sind hier immer noch eine ziemlich katholische Gegend."

Das werden wir ja sehen, dachte ich, denn in dem Moment kam Bärbel mit der nächsten Runde rein.

"Geht auf mich", sagte ich zu ihr, und diesmal, das konnte ich förmlich sehen, war das Blinzeln in meinen Augen. Da klingelte mein Handy. Ich brauchte nicht aufs Display zu sehen, um zu wissen, wer da anrief. Ein telepathischer Weckruf von Susanne, meiner Frau, den ich stets überhörte.

Die Tür ging auf, und zwei Polizisten kamen rein.

"Nabend", sagte der gute der beiden.

"Nabend, Wolfgang", erwiderte die Goldene Sonne im Chor.

"Wir suchen einen Mann", sagte der andere Polizist, der auch gut aussah, wenn auch nicht unbedingt optisch. "Circa eins fünfundsiebzig groß, um die fünfzig, der halb nackt durchs Dorf rennt, sich mit Erde beschmiert und kleine Kinder erschreckt."

"Einen Exorzisten", sagte sein Kollege.

"Exhibitionisten", verbesserte ihn Bärbel mit einem heimlichen Seitenblick auf mich.

"Oder so", sagte der Polizist.

Es war so still wie zuvor in der Hühnerstallszene. Alle sahen mich an. Und ich, ich sah auf das Plakat, das neben dem Tresen hing: "Der Manndecker – eine theatralische Halbzeit aus dem Leben eines Profis", darunter ein Foto von mir im völlig verdreckten BVB-Trikot.

"Wat?", sagte der gute Polizist und schaute den GV an. "Sach bloß, dat soll auch noch Kunst sein?"

CHAPTER 3

Es lag am Bett, ich schwöre es. Es war einfach nicht für Sex gemacht. Wer in der Goldenen Sonne übernachtete, der tat das, weil er keine andere Wahl, eine Autopanne, vier Promille im Blut oder was weiß ich hatte, nur keinen neben, unter oder auf sich liegen, so wie ich gerade. Wahrscheinlich war ich der erste Gast, der hier jemals Sex hatte. Oder es zumindest versuchte. Irgendwann musste ich aufgeben. Auf der Raufaser am Boden, der einzigen Alternative, hätte ich mir den Rücken aufgerissen.

"Tut mir leid", flüsterte ich.

"Hattest ein schweres Spiel heute", sagte Bärbel in Zimmerlautstärke. "Mein Manndecker."

Dann gab sie mir einen Kuss, der eine Spur zu zärtlich war für das, was wir hier miteinander veranstalteten. Oder suchte sie in diesem Zimmer etwa die große Liebe?

Und nun? Reden? Worüber? Die Inneneinrichtung? Das Theater? Also über den ehemaligen jugendlichen Liebhaber des Bochumer Schauspielhauses, der jetzt sein Geld damit verdiente, dass er in den schmuddeligen Hinterzimmern von Vereinskneipen vor sechs Leuten einen alternden Fußballer mimte? Ich wusste, Sex war nicht nur gut fürs Immunsystem, er verhinderte auch das Bohren in alten Wunden. Wenn er sie auch nicht gerade heilte.

"Wenn ich mich umlege, geht's vielleicht."

Umlegen? Wovon, um Himmels willen, sprach sie? Wollte sie sich erschießen? Oder meinte sie bloß, dass sie sich umdrehte? Und was vor allem sollte dann gehen? Ich hatte doch gerade erst die weiße Fahne gehisst.

Sie machte tatsächlich eine Kehrtwende um hundertachtzig Grad. Das Bett ächzte und knarrte dabei wie eine alte Katze mit Bronchitis. Nach ungefähr zwei Minuten lag ihr Kopf an meinen Füßen. Und meiner an ihren. Was jetzt endgültig nicht mehr ging, war klar. Es sei denn, sie wollte an meinem großen Zeh nuckeln. Nur was stattdessen gehen sollte, das war überhaupt nicht klar.

"Wird 'ne kurze Nacht, das sage ich dir gleich", sagte sie. "Wenn hier um sieben die Kirchenglocken läuten, dann machste kein Auge mehr zu. Also schlafen wir besser gleich. Nacht."

Dann küsste sie mir die Füße. Kein Scheiß jetzt. Eine Kellnerin, die mir die Füße küsste. Auch wenn sie dabei nicht weinte und mir die Füße mit ihren Haaren trocknete wie einst Maria Magdalena dem Heiland, kam ich mir wie Jesus vor. Der GV hatte recht gehabt. Das Sauerland war immer noch eine ziemlich katholische Gegend.

(Continues…)


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