"Kopf hoch, Brust raus!": Was wir im Umgang mit Krebs alles richtig machen können

by Susanne Reinker

"Kopf hoch, Brust raus!": Was wir im Umgang mit Krebs alles richtig machen können

by Susanne Reinker

eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Auf einen Anschlag böser Zellen ist niemand vorbereitet. Und wie auch? Jede Diagnose ist anders, entsprechend verschieden sind die Behandlungsmöglichkeiten, die sich noch dazu rasant weiterentwickeln. Ganz anders die Alltagsprobleme bei dieser Erkrankung: Die bleiben immer dieselben. Und sie überfallen unweigerlich jeden Krebsneuling, ganz egal, an welcher Körperstelle es ihn oder sie erwischt hat: Finanznöte und Beziehungsstress, Nebenwirkungsgeisterbahn und Nachwirkungsblues, Angstmacher und Schamgefühle, maulfaule Ärzte und hilflose Helfer. In 36 Stichpunkten erklärt Susanne Reinker herzerfrischend schnörkellos, wie dieser neue Alltag möglichst gut funktioniert – und zeigt Betroffenen so den Weg von der Panik zum Pragmatismus.


Product Details

ISBN-13: 9783843721837
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 07/26/2019
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 288
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

Susanne Reinker, Jahrgang 1963, ist Diplom-Übersetzerin für Französisch und Englisch. Sie arbeitete nach ihrem Studium beim Goethe-Institut und schrieb Kritiken für den Fischer Film-Almanach. Bevor sie Autorin wurde, war sie zehn Jahre lang als Presse­sprecherin und PR-Managerin in der Filmbranche tätig. Zunächst schrieb sie praktische Rat­geber für Berufs­tätige.  Ihr Buch "Rache am Chef" (2007) kletterte bis auf Platz 10 der Spiegel-Best­seller­liste. Die BILD kürte Susanne Reinker im selben Jahr zu einer der "100 tollsten Frauen", weil sie "in ihrem Best­seller 'Rache am Chef' die Ge­mein­heiten der Vor­ge­setzten ent­tarnt und sagt, wie frau sich dagegen wehrt". Fünf Monate nach diesem Erfolg wurde bei Susanne Reinker Brustkrebs diagnostiziert. Während des langen Behandlungsparcours schrieb sie zwei weitere Berufsratgeber. 2011 packte sie ihre Krebserfahrung zusammen mit einem ordentlichen Schuss Komik in ihr Romandebüt "Weniger Arbeit, mehr Gemüse, mehr Sex!" Der Ratgeber "'Kopf hoch, Brust raus!' Was wir im Umgang mit Krebs alles richtig machen können" (2019) ist ihr siebtes Buch. Wenn es ihre Zeit erlaubt, nimmt die Autorin auch Über­setzungs­aufträge für heiter-ironische Romane und Sachbücher an.

Susanne Reinker, Jahrgang 1963, ist Autorin und Diplom-Übersetzerin für Französisch und Englisch. Sie lebt und arbeitet in Düsseldorf.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Anstelle eines Vorworts

2007 Warum ich? Warum jetzt?

Im März 2007 war ich gerade 44 geworden. Und ganz oben angekommen.

Oder jedenfalls so weit oben, wie ich mir das damals immer erträumt hatte. Mein Buch Rache am Chef schaffte es auf die Spiegel-Bestsellerliste. Eine große deutsche Boulevardzeitung ernannte mich zu einer der hundert tollsten Frauen des Jahres, weil ich den Vorgesetzten mal so richtig gezeigt hatte, wo der Hammer hängt. Ich erfreute mich meines Lebens mit Mann und Katzen und gesunder Mittelmeerkost. Und wenn ich mich nicht so bodenlos gegrämt hätte über den dräuenden Wandel meiner Ausmaße von Bikini- zu Badeanzugfigur, dann wäre eigentlich alles perfekt gewesen.

Also, zumindest bis zum 25. Juli.

Da landete ich nämlich auf einen Schlag ganz unten.

Brustkrebs rechts auf 6 Uhr, multifokal, Wächter-Lymphknoten befallen.

Therapiemaßnahmen: OP, Chemo, Strahlen, Hormone.

Weitere Aussichten: beschissen.

Um das zu kapieren, brauchte ich keine medizinischen Ausführungen. Ein Blick auf meinen Gynäkologen reichte völlig. Er setzte das Gesicht auf, das er vermutlich für besonders finstere Diagnosen in Reserve hält, murmelte etwas von »jetzt gehen wir am besten gleich in medias res« und sprach es aus.

Das schreckliche K-Wort.

Ich bin im falschen Film, dachte ich.

Mehr dachte ich nicht.

Ich funktionierte nur noch auf Notstrom. Ganz gelegentlich flackerte ein Lebenszeichen in einzelnen Körperteilen auf. Mein Gehirn meldete wachsende Taubheitserscheinungen und drohenden Systemabsturz. In meinen Ohren brauste es. Meine Kehle rang mit einem Kloß, mein Magen funkte steigende Übelkeit und mein Darm akutes Toiletten-SOS.

Der Gynäkologe schaute mich an. »Vor Ihnen liegt jetzt ein Parcours«, beschied er mir mit Seelsorgermiene und reichte mir die Hand. Ich sah sie in Zeitlupe auf mich zukommen. Unter Aufbietung aller kümmerlichen noch vorhandenen Kräfte gelang es mir, sie zu ergreifen, meinem Sprachzentrum eine höfliche Abschiedsfloskel zu entringen, die Tür zu öffnen und irgendwie aus der Praxis herauszufinden.

So fühlt sich also der Ernstfall an, dachte ich in Endlosschleife, während der Kloß in meiner Kehle sich langsam verflüssigte und hochstieg in Nase und Augen. So fühlt es sich also an, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

So fühlt es sich also an, wenn man erfährt, dass man sterben muss.

Warum ich? Warum jetzt?

Und dann war es so weit. Meine Schockstarre wich auf einen Schlag waschechter Verzweiflung. Dicke Tränen tropften auf die braunbeigen Granitstufen im Treppenhaus meines Arztes. Und ich bekam den ersten Heulkrampf meines neuen Lebens.

* * *

Irgendwann kamen keine Tränen mehr nach. Und in dem Moment der Ent-Spannung, der Gott sei Dank zuverlässig auf jeden Heulkrampf folgt, sah ich mich auf dieser Treppe sitzen. Ein Haufen Elend mit Rotznase und verschmierter Schminke in einem 50er-Jahre-Treppenhaus mit Blick aus einem Fenster, gegen das der Münchner Juliregen nieselte. »O Mann, so was Klischeehaftes, das würde man jedem Drehbuchautor sofort um die Ohren hauen«, schoss es mir durch den Kopf. Was einem bei aller existenziellen Verzweiflung eben so durch den Kopf schießt, wenn man ewig in der Filmbranche gearbeitet, zusammengezählt Jahre seines Lebens in Kinos verbracht hat und sich plötzlich live und in Farbe in seinem eigenen, höchstpersönlichen Melodram wiederfindet.

Immerhin: Mein Verstand war offenbar wieder angesprungen. Ein paar graue Zellen hatten sich von den Ereignissen merkwürdigerweise nicht weiter beeindrucken lassen. Seelenruhig erhob sich dieser Restverstand über die Massenpanik aller anderen Körperzellen und beäugte mich. Freundlich, dabei offenbar rein fachlich interessiert, etwa wie ein Zoologe das Verhalten von Labormäusen unter Stress beobachten würde. Anscheinend nahm er völlig ohne mein Zutun eine Evaluierung der Gesamtsituation vor. Während ich apathisch ins Leere starrte, gewichtete er die Faktoren Unglück, Panik, Todesangst und Selbstmitleid. Und meldete sich sodann energisch zu Wort.

»Hör auf zu heulen!«, befahl er mir mit bedeutend weniger Mitgefühl in der Stimme, als ich es mir gewünscht hätte. »Was soll dieser melodramatische Quatsch von wegen ›Warum ich?‹ und ›Warum jetzt?‹? Du weißt doch ganz genau, was Sache ist.«

Und dann zählte mein Restverstand mir kurz, schmerzhaft und punktgenau alle Faktoren meines bisherigen Lebens auf, die zu diesem Krebs geführt haben könnten.

Quasi als Warm-up zeigte er mit dem Finger auf die üblichen Verdächtigen, die mit Sicherheit auch in meinem Leben ihre Spuren hinterlassen hatten: zu viel rotes Fleisch, unglückliche Liebesbeziehung, Demotivation und drohender Burn-out im Job, Schadstoffe in Grundwasser und Atemluft, Chemie in Lebensmitteln, Parabene im Plastik, Hang zu Schwermut und schweren Rotweinen.

Immerhin konnte er mir keine Nikotinsucht vorwerfen.

Also ging mein Restverstand gleich über zu den ganz harten Fakten: »He, du hast eine chronische Angststörung! Mit 21 die erste Panikattacke, mit 26 die erste Therapie – und trotzdem drehst du immer noch regelmäßig durch vor Schiss, du könntest bei der Arbeit diesen einen riesigen peinlichen, unverzeihlichen Fehler machen! Oder vergessen haben, den Herd auszuschalten! Oder von einer Spinne tätlich angegriffen werden! Menschenskind, du weißt doch, dass Angststörungen die Lebenserwartung verkürzen!«

Ich schluckte. Was hätte ich zu meiner Rechtfertigung vorbringen können? Dass diese Angststörung offenbar genetisch bedingt ist und auch einen Teil meiner Familie umtreibt?

Mein Restverstand lächelte mitleidig. »Genetische Veranlagung ist keine Ausrede für Angst, sondern ein Grund, umso energischer etwas dagegen zu tun. Sonst wird sie nämlich immer schlimmer. Aber nein, du hast dich ja für Leiden und Verdrängen entschieden. Obwohl du sogar im Verdrängen eine Niete bist, sonst würde deine Hormonvergangenheit dir nicht immer wieder die prächtigsten Albträume bescheren ...«

Die Hormone. Neben der Angststörung der zweite beinharte Krebsfaktor in meinem Leben.

Nein, nicht wegen der Pille, obwohl ich die über zwanzig Jahre lang geschluckt habe.

Sondern wegen der Antiwachstumsbehandlung. Damals, als ich zwölf war.

Wir schrieben das Jahr 1975, die Ärzte waren noch Götter in Weiß und die Fortschritte in Wissenschaft und Medizin ein wahres Wunder. Auch für meine Eltern. Als Schulärzte im Auftrag der Düsseldorfer Uniklinik nach besonders hochgewachsenen Mädchen suchten, dabei auch mich (damals 173 Zentimeter) entdeckten, reagierten meine Mutter (179 Zentimeter) und mein Vater (193 Zentimeter) enthusiastisch auf das Angebot, das ihnen für ihre Tochter unterbreitet wurde: eine Hormontherapie gegen Großwuchs.

Allein schon dieses Wort. Es klang, als hätte die Vermessung meiner Handgelenke eine zukünftige Zweimeterfrau entlarvt. Dabei lag die Prognose nur bei »circa 185 Zentimetern«. Zu vermeiden durch die tägliche Gabe hochdosierter Östrogene und Gestagene über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren.

Heute würde man über so einen Vorschlag den Kopf schütteln. Oder die Ärzte gleich wegen versuchter Körperverletzung verklagen.

Aber damals schien diese Methode nicht nur für meine, sondern für viele weitere Eltern groß gewachsener Töchter wie die letzte Rettung vor drohendem Elend: »Wenn du so groß wirst, findest du doch nie mehr elegante Schuhe! Und einen Mann findest du erst recht nicht! Und dann bei deiner Figur! Groß und zierlich geht ja vielleicht noch, aber groß und stämmig ... überleg doch mal!«

Ich überlegte. Im Rahmen meines Zwölfjährigenhorizonts war das nicht schwer. Ich wollte Schuhe finden, ich wollte einen Mann, ich hatte Angst, groß und stämmig zu werden. Also fing ich an, diese Hormone zu schlucken. Und die brachten meinen überraschten Kinderkörper mit dem Presslufthammer in Frauenform. Quasi über Nacht wuchs mir ein Riesenbusen, und die erste Periode setzte ein. Ich wurde dick, pickelig und unglücklich. Nach fünfzehn Monaten brach ich die Behandlung ab. Es war mir egal geworden, wie groß ich werden würde, ich wollte nur raus aus dieser Studie. Die wurde einige Jahre später sang- und klanglos eingestellt. »Aufgrund gravierender psychischer Probleme der Probanden«, wie ich später hörte. Allerdings nicht von den verantwortlichen Ärzten der Uniklinik. Von denen habe ich nie wieder etwas gehört. Keine Nachuntersuchungen, keine Langzeitstudie über die Folgen der Behandlung – nichts. Obwohl die potenziell krebsfördernde Wirkung von Hormonbehandlungen aller Art seit den 70er-Jahren immer eindeutiger belegt ist.

»Du bist halt ein Hormonkalb, da lässt sich nix mehr dran ändern. Das war immer schon ein Risiko, das wusstest du. Da brauchst du jetzt nicht theatralisch ›warum ich?‹ zu rufen«, dozierte mein Restverstand. »Und das mit deiner Mutter weißt du schließlich auch.«

Touché.

Meine Mutter.

Mit 42 malignes Melanom am rechten inneren Oberarm.

Prognose, gestellt von einem besonders einfühlsamen Exemplar der Ärzteschaft: »Wenn Sie Glück haben, sind Sie in sechs Monaten noch am Leben.«

Immerhin war sie sechs Monate später noch am Leben.

Auch zwei Jahre später noch.

Mit 44 dann Brustkrebs links mit Lymphknotenbefall.

Mastektomie.

Chemo.

Strahlen.

»Da ist es nicht wirklich erstaunlich, dass es dich jetzt erwischt, gib's zu«, sagte mein Restverstand, einen Hauch von Sarkasmus in der Stimme. »Erstaunlich ist höchstens die Tatsache, dass es euch in exakt demselben Lebensjahr erwischt hat.«

»Aber wieso denn?«, wollte ich aufschluchzen. Doch in dem Moment stieg ein älterer Mann an mir vorbei die Treppe hoch und warf mir einen missbilligenden Blick zu, sodass ich vor Schreck nicht viel mehr als ein verzweifeltes Nasehochziehen rausbrachte. Aber die Wieso-Frage schoss weiter durch meinen Kopf wie ein angestochener Luftballon.

Meine Mutter war damals unglücklich gewesen. In ihrer Ehe, mit ihren Töchtern, mit ihrem Leben. Also genau die Seelenanamnese, bei der Hobbypsychologen und Esoteriker bekümmert den Kopf wiegen und Kommentare wie »War ja klar, Krebs fängt eben im Kopf an ...« abgeben.

»Aber ich bin doch ganz anders als meine Mutter!«, wollte ich rufen. »Ich hab doch aus ihren Fehlern gelernt! Ich hab doch schon vor Jahren energisch die schlimmsten Unglücklichmacher rausgeschmissen aus meinem Leben!« Plötzlich durchzuckten Bilder mein Gehirn, als hätte jemand einen defekten Diaprojektor angeschaltet.

Da, da bin ich mit 32. Zusammen mit meinem damaligen Lebensgefährten, einem erfolgreichen Kulturmanager. Wir sind ein schönes Paar. Er im Smoking, ich im Cocktailkleid. Wir werfen der Kamera ein strahlendes Lächeln zu. Auf Fotos wirkten wir immer glücklich. Aber in Wirklichkeit war es sechs Jahre lang Krieg und Frieden. Viel Krieg und wenig Frieden. In den Pausen zwischen den Schlachten leckten wir unsere Wunden und machten Zukunftspläne.

Ich sah mich, wie ich damals auf der Toilette eines Nobelrestaurants kauerte, apathisch den blattgoldbezogenen Fries oberhalb der Marmorfliesen anstarrte und endlich begriff, dass unsere Beziehungswirklichkeit eine eher suboptimale Basis für eine Ehe war. Ein sehr langes Jahr später zog ich aus.

Da, noch ein Dia. Darauf war ich in meinem Pressesprecherinnen-Businessoutfit zu sehen, im Gespräch mit einem der Big Shots der deutschen Filmbranche. Er erklärte mir gerade freundlich, dass Frauen nie gegen die gläserne Decke ankommen, weil die Jungs im Sandkasten der oberen Etage nun mal lieber unter sich bleiben und den Mädels im Zweifelsfalle eher eins mit der Schippe über den Schädel ziehen, als sie mitspielen zu lassen. Er lachte.

Ich sah, wie ich brav mitlachte.

Gott, war ich damals naiv. Um nicht zu sagen: blöd. Ich dachte mir damals nicht viel mehr als: ist halt so. Da muss ich durch. Ich bin kompetent, ich bin fleißig, ich kann was, also werde ich meinen Weg schon machen.

Hab ich dann auch. Allerdings genau wie von meinem charmanten Gesprächspartner prophezeit, mehr geradeaus als aufwärts.

Und irgendwann war die Luft raus.

»Danke, das reicht, Schluss mit dem Bildervortrag!«, keifte ich meinen Restverstand an. »Was willst du überhaupt? Ich bin doch damals eben nicht mutlosemädelsmäßig in die innere Emigration gegangen! Ich hab ge-kün-digt!!!« Kurz überdeckte der Stolz auf diesen Schritt die Verzweiflung des frisch designierten Krebsneulings. Herausfordernd starrte ich die Längsstreben des Treppenhausgeländers an. »Das glaubt ihr wohl nicht, was? Dass dieser Haufen Elend den Arsch in der Hose hatte, kurz vor der runden Vierzig diesen Stressjob hinzuschmeißen! Und zwar ohne was Neues in der Tasche zu haben!«

Das Treppengeländer starrte tadelnd zurück.

Okay, das stimmte jetzt nicht ganz.

Ich hatte was Neues. Nicht in der Tasche. In meinem Leben.

Nämlich einen tollen Mann. Den hatte ich kurz nach der Endstation mit dem Kulturmanager kennengelernt – ein klares Indiz dafür, dass die himmlischen Mächte mutige Entschlüsse offenbar zumindest manchmal belohnen.

Und weil diese Erfahrung so ermutigend war – und der neue Mann auch –, beschloss ich mit 39, Übersetzerin und Autorin zu werden.

Als Übersetzerin hatte ich immerhin einen Universitätsabschluss. Aber Autorin werden? Warum nicht gleich Schauspielerin? Oder Skispringerin? Oder Konzertpianistin! Du wirst sehen, das wird ganz übel enden! Jetzt wirfst du deine Karriere weg, und in fünf Jahren bist du Hartzvier!

Meine Angststörung kriegte sich damals gar nicht mehr ein vor Panik.

War eine harte Zeit, mit wenig Schlaf und wenig Geld. Bis 2004 mein erstes Buch auf den Markt kam.

»Ich weiß, ich weiß, is ja gut! Ich hab immer noch wenig Schlaf und wenig Geld! Aber immerhin bin ich meine eigene Frau! Ich lebe das Leben, das ich immer leben wollte! Früher war ich unglücklich, aber jetzt bin ich doch glücklich! Ich mach Sport! Ich bin sogar Flexitarierin geworden! Also warum, verdammt noch mal, krieg ich jetzt Krebs?«

O nein, bitte nicht. Bitte jetzt nicht wieder losflennen. Panisch versuchte ich, den aufsteigenden Kloß in meinem Hals wieder runterzuschlucken. Ohne Erfolg. Eine Woge höchster Verzweiflung überspülte mich. Ich bekam keine Luft mehr. Das Fünfzigerjahretreppenhaus flimmerte vor meinen Augen. »Niemand entgeht seinem Schicksal«, raunte es in mein Ohr, bedrohlich und böse.

O Gott.

Das ist er.

Der Anfang vom Ende.

Mir wurde schwarz vor Augen.

»He, Drama Queen! Jetzt reicht's!!« Mein Restverstand funkelte mich wütend an. »Kann schon sein, dass Gene oder Hormone oder Rotwein oder Seelenblähungen oder wasweißich schuld sind – kann aber auch nicht sein! Wenn du weiter auf Selbstmitleid und sterbender Schwan machst, kannst du jedenfalls gleich den Löffel abgeben. Dann ersparst du dir wenigstens das Geseiere von den Hobbypsychologen und Ernährungsaposteln in deinem Bekanntenkreis. Die geben dir und deiner Panik nämlich eh den Rest, so wie du gerade drauf bist! Denk an deine Mutter!«

Unwillkürlich hörte ich auf zu heulen.

Nach der ersten Diagnose hatte meine Mutter sich in ihr ärztlich prognostiziertes Schicksal gefügt, war apathisch unter die Bettdecke gekrochen und hatte auf das Ende gewartet.

Das dann nicht kam. Stattdessen kam die zweite Diagnose. Keine ursächliche Verbindung, vollkommen neuer Krebs, tragisches Schicksal.

Aber nicht das Ende.

Meine Mutter rappelte sich damals nämlich auf und ging in den Widerstand. Gegen a) die bösen Zellen und b) sämtliche tragikschwangeren Prognosen sogenannter und selbst ernannter Seelen-, Ernährungs- und Gesundheitsexperten in ihrer Umgebung. »Du hast keine Chance, aber nutze sie«, ist offenbar eine ziemlich brauchbare Option, wenn einen alle behandeln, als hätte man ein Haltbarkeitsdatum auf der Stirn, das demnächst abläuft.

Meine Mutter jedenfalls ist immer noch am Leben.

»Na endlich!«, rief mein Restverstand aus. Es klang eher genervt als fürsorglich. »Deine Mutter hat sich aufgerappelt, und genau das wirst du auch tun. Schluss mit dem Selbstmitleid! Die Behandlung hat noch gar nicht angefangen, und du siehst dich schon auf dem Sterbebett, das darf ja wohl nicht wahr sein! Du bist doch sonst immer so stolz auf dein analytisches Denkvermögen. Dann jetzt aber mal zackig den Verstand wieder angeworfen! Und wo wir gerade dabei sind: Aufstehen und nach Hause gehen wäre auch eine super Idee. Oder willst du hier so lange hocken, bis du zu deinem Krebs auch noch 'ne Blasenentzündung bekommst?«

Ich schluckte. Das Machtwort wirkte. Mein Magen signalisierte Hunger. In meinem Gemüt regte sich Trotz, erst zaghaft, dann mutiger. Meine Lebensgeister meldeten sich zurück. Endlich. Aus verquollenen Augen starrte ich meinen Restverstand an und verkündete mit wackeliger Stimme: »Also gut. Ich werde das schon irgendwie packen. Aber du musst mir dabei helfen.«

Ich atmete noch mal tief durch, dann rappelte ich mich tatsächlich auf. Wenn auch zunächst nur in eine aufrechte Position. »Immerhin ein erster Schritt in die richtige Richtung!«, stichelte mein Galgenhumor. Also hatte der inzwischen auch den ersten Schock verdaut. Ein gutes Zeichen.

Solchermaßen bestärkt, empfahl mein wiederbelebtes analytisches Denkvermögen mir fix, jetzt nicht nach Hause zu gehen, nicht meine Eltern (Düsseldorf) anzurufen und auch nicht meinen Mann (Frankreich). Zu viel Tränenhochwassergefahr. Akutes Panikrückfallrisiko. Nein, dann schon lieber auf einen Kaffee Zuflucht bei einer meiner besten Freundinnen suchen, nervenstark, einfühlsam und mit bayerischer Gemütsruhe gesegnet. Sie würde mir guttun, das spürte ich. Spontan machte ich mich auf den Weg.

(Continues…)


Excerpted from ""Kopf hoch, Brust raus!""
by .
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Excerpted by permission of Ullstein Buchverlage.
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Table of Contents

Die Autorin / Das Buch,
Titelseite,
Impressum,
Anstelle eines Vorworts,
Besondere Situationen,
erfordern besondere Maßnahmen.,
Abtauchen, Nerven sägen, totschweigen:,
Wie Nicht-Krebse auf unsereins reagieren,
Ärzte und wie man sie überlebt,
Die Arbeit: Vom bedenkenlosen Ausstieg zum geglückten Wiedereinstieg,
»Austherapiert«? Vielleicht.,
Aber noch lange nicht am Ende,
Bammel: Fifty Shades of Fear,
Die große Behandlungsfrage oder:,
Ratlos zwischen Ross- und Mistelkur,
Betroffenheitsbekundungen –,
auch DAS noch!,
Diagnose, die:,
Von der Schockstarre zum Krisenalltag,
Dr. Google, Risiken und Nebenwirkungen,
Erste-Hilfe-Maßnahmen für Krebsneulinge und alle, die ihnen wirklich helfen wollen,
Finanzen –,
eine himmelschreiend bittere Pille,
Genuss-Mittel: Wann, wenn nicht jetzt?,
Hinterm Haarausfall geht's weiter,
Vorsicht, Hobbypsychologen im Anmarsch!,
Wie sag ich's meinem Kind?,
Krank feiern oder:,
Hurra, wir leben noch!,
Krankenhausbesuche verkraften:,
Ein Crashkurs,
Der böse K:,
Kollektiver Horror vor einem Klischee,
»Meine Oma ist ja damals auch an,
Krebs gestorben ...« – Krebsgeschichten,
zwischen nett und daneben,
Krebskonversation leicht gemacht,
Nachsorge. Mit Versorgung gegen die Sorgen danach,
Nachtschattengefühle: Scham, Selbstmitleid, Selbstvorwürfe,
Achtung, fertig! anstatt los:,
der Nachwirkungsblues,
Nebenwirkungen:,
Willkommen in der Geisterbahn,
Normalität! Das unerwartete Comeback eines unerwartet guten Gefühls,
Alles Psychokacke, oder was?,
Ratschläge: Ernährung, Esoterik und andere Missionsgebiete,
Rückschläge: This shit can happen,
Sex: Alles kann, nichts muss,
Statistiken, Prognosen und andere Gespenster,
Tagesform: Aprilhaft mit Sturmböen,
Tränen – Trost oder doch eher Trauma?,
Verdrängung, ja bitte!,
Vorteile: Die guten Seiten am bösen K,
Zu viel des Guten,
Zweitmeinungen von Wohl bis Wehe,
Briefe an die Leser,
Schlusswort,
Anhang,
Danke,
Social Media,
Vorablesen.de,

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