Gina Angelucci, die Spezialistin für ungeklärte Mordfälle, klärt auf, was seit dem 2. Weltkrieg im Verborgenen lag
Gina Angelucci, Spezialistin für Cold Cases bei der Münchner Kripo, ist aus der Elternzeit in den Dienst zurückgekehrt. Ihr Ehemann und Kollege Tino Dühnfort betreut die kleine Tochter. Als in dem idyllischen Dorf Altbruck zwei Leichen gefunden werden, die mehrere Jahrzehnte verscharrt gewesen waren, übernimmt Gina die Ermittlungen. Die Identität der Toten nach so langer Zeit zu klären, erscheint zunächst als unlösbare Aufgabe. Dann wird klar, dass das weibliche Opfer aus dem Baltikum stammt. War sie eine Zwangsarbeiterin? Während Gina einen Mörder sucht, der vielleicht selbst nicht mehr am Leben ist, bemerken sie und Tino nicht, dass ihnen jemand ihr privates Glück missgönnt und es zerstören will.
Spannung auf höchstem Niveau: abgründig, scharfsinnig, düster
Gina Angelucci, die Spezialistin für ungeklärte Mordfälle, klärt auf, was seit dem 2. Weltkrieg im Verborgenen lag
Gina Angelucci, Spezialistin für Cold Cases bei der Münchner Kripo, ist aus der Elternzeit in den Dienst zurückgekehrt. Ihr Ehemann und Kollege Tino Dühnfort betreut die kleine Tochter. Als in dem idyllischen Dorf Altbruck zwei Leichen gefunden werden, die mehrere Jahrzehnte verscharrt gewesen waren, übernimmt Gina die Ermittlungen. Die Identität der Toten nach so langer Zeit zu klären, erscheint zunächst als unlösbare Aufgabe. Dann wird klar, dass das weibliche Opfer aus dem Baltikum stammt. War sie eine Zwangsarbeiterin? Während Gina einen Mörder sucht, der vielleicht selbst nicht mehr am Leben ist, bemerken sie und Tino nicht, dass ihnen jemand ihr privates Glück missgönnt und es zerstören will.
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Overview
Gina Angelucci, die Spezialistin für ungeklärte Mordfälle, klärt auf, was seit dem 2. Weltkrieg im Verborgenen lag
Gina Angelucci, Spezialistin für Cold Cases bei der Münchner Kripo, ist aus der Elternzeit in den Dienst zurückgekehrt. Ihr Ehemann und Kollege Tino Dühnfort betreut die kleine Tochter. Als in dem idyllischen Dorf Altbruck zwei Leichen gefunden werden, die mehrere Jahrzehnte verscharrt gewesen waren, übernimmt Gina die Ermittlungen. Die Identität der Toten nach so langer Zeit zu klären, erscheint zunächst als unlösbare Aufgabe. Dann wird klar, dass das weibliche Opfer aus dem Baltikum stammt. War sie eine Zwangsarbeiterin? Während Gina einen Mörder sucht, der vielleicht selbst nicht mehr am Leben ist, bemerken sie und Tino nicht, dass ihnen jemand ihr privates Glück missgönnt und es zerstören will.
Spannung auf höchstem Niveau: abgründig, scharfsinnig, düster
Product Details
ISBN-13: | 9783843720854 |
---|---|
Publisher: | Ullstein Ebooks |
Publication date: | 05/31/2019 |
Series: | Ein Gina-Angelucci-Krimi , #2 |
Sold by: | Bookwire |
Format: | eBook |
Pages: | 384 |
File size: | 3 MB |
Language: | German |
About the Author
Schon als Kind verfügte Inge Löhnig über so viel Fantasie, dass ihre Geschichten noch heute in der Familie legendär sind. Neben dem Beruf als Grafik-Designerin war Schreiben lange ein Hobby. Erst mit dem Erscheinen der Reihe um den Münchner Kommissar Konstantin Dühnfort wurde daraus die neue Profession. Die Kriminal-Romane von Inge Löhnig sind ebenso regelmäßig auf der Bestsellerliste zu finden, wie die spannenden Familien-Romane, die sie unter dem Pseudonym Ellen Sandberg veröffentlicht. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.
Read an Excerpt
CHAPTER 1
Obwohl Ella Loibl noch immer zornig auf ihren Mann Frank war, und doch auch voller Sehnsucht nach ihm, tat sie endlich, was sie seit Langem tun wollte. Sie musste das selbst erledigen. Das war sie ihm und ihrer Liebe schuldig.
Schlag um Schlag, Hieb für Hieb meißelte sie seinen Namen in den Stein. Metall schlug klirrend gegen Metall. Splitter spritzten gegen die Schutzbrille. Feiner Marmorstaub stieg in die Luft. Zentimeter für Zentimeter rückte sie das Spitzeisen weiter. Schweiß perlte auf ihrer Stirn, sammelte sich in den Brauen, lief in einem feinen Rinnsal zwischen den Schulterblättern hinab. Es war Schwerstarbeit, und sie dachte an die Geburten ihrer Kinder. Doch nicht neues Leben war entstanden, sondern eines erloschen. Seines. Vor acht Monaten hatte der Tod zugeschlagen und ihr den Mann genommen, mit dem sie dreiundzwanzig Jahre verheiratet gewesen war.
Buchstabe für Buchstabe arbeitete sie sich voran. Bis sein Name dort stand, in einer zeitlosen Groteskschrift, die ihm gefallen hätte. Nach acht Monaten Trauer, Wut und Fassungslosigkeit hatte sie endlich den Grabstein für ihn entworfen und seinen Namen hineingeschlagen. Nun war Frank wirklich tot. Gelebt hatte er neunundvierzig Jahre. Im Angesicht der Unendlichkeit seines Nichtseins war das ein Wimpernschlag, eine Lappalie, und Ella hätte alles dafür gegeben, seine Stimme noch einmal zu hören, noch einmal mit ihm zu lachen und zu reden, ihn zu küssen. Und ihn zur Rede zu stellen, warum er Sepps Rat gefolgt war. Wobei sie das noch am ehesten verstand. Dass er ihr von der Misere, in der sein Tonstudio steckte, kein Wort gesagt hatte, das nahm sie ihm allerdings übel.
Ella warf Meißel und Hammer auf die Werkbank, setzte Brille und Mundschutz ab und klopfte sich den Staub von der Arbeitshose. Es war, wie es war. Mit den finanziellen Folgen seines Unternehmertums musste sie nun leben. Ebenso wie mit seinem Tod. Auch wenn sie nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder würde sie alles verlieren oder doch noch irgendwo Geld auftreiben, um seine Schulden zu begleichen.
Ella sah sich in ihrer Werkstatt um, die ihr von Kindesbeinen an vertraut war. An einer Wand hingen die Stemm- und Spitzeisen, die Sägen und Meißel. Davor standen Stapler und Winde. Vor dem Fenster befand sich ihr Arbeitstisch und daneben das Regal mit Farben, Pinseln, Stiften und Blöcken mit Blattgold. Sie durfte den Steinmetzbetrieb nicht verlieren, den ihr Vater aufgebaut hatte. Er würde sich im Grab umdrehen, wenn sie in Konkurs ging, und Mama würde es das Herz brechen.
Wovon sollte sie dann leben? Sollte sie sich etwa an die Kasse des Supermarkts setzen? Sie musste einen Weg finden, den Betrieb zu halten, wobei es nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder schenkte sie ihrer Mutter reinen Wein ein. Was eine Tirade gegen Frank zur Folge haben würde. »Ich habe dir ja immer gesagt, dass er ein Luftikus ist, ein Windei, kein Mann, den man heiratet. Er hat sich ins gemachte Nest gesetzt und auf deine Kosten gelebt. Ausgenommen hat er dich.« Ella wusste, dass sie das nicht ertragen würde. Sie ließ sich auf den von Steinstaub überzogenen Bürostuhl sinken. Blieb also nur die zweite Möglichkeit. Sie musste Sepp und Franzi um Geld bitten, und das erschien ihr ebenso unmöglich.
Ein erfolgreicher Unternehmer zu sein, das hatte Frank vorgeschwebt, seit Sepp erklärt hatte, er habe das Zeug dazu. Beim Maibaumaufstellen vor zwei Jahren war das gewesen. Unversehens hatten sie sich mit Sepp und seiner Frau Franzi am selben Tisch befunden. Nach zwei Bier hatte ihr Mann angefangen, von seinem Tonstudio zu schwadronieren, wie er das gelegentlich tat. Ein Jugendtraum. Sein Wolkenkuckucksheim, denn Frank war Musiker und kein Geschäftsmann. Sepp war darauf eingegangen. Sein eigner Herr zu sein, das wäre das Beste. Jeder könne ein Unternehmen aufbauen. Man brauche nur den Willen dazu, ein fundiertes Konzept und Durchhaltevermögen. Und Kapital, hatte Ella angemerkt. Worauf Sepp erwidert hatte, dass es dafür Banken gebe, als wüsste sie das nicht. Was Frank für einen Kredit benötige, seien ein Businessplan und ein wenig Eigenkapital, sagte Sepp.
Beim dritten oder vierten Bier waren die beiden sich dann einig gewesen. Sepp würde Frank bei der Erstellung des Businessplans helfen und ihm eine Anschubfinanzierung geben. Und so war es auch gekommen. Trotz Ellas Bedenken, dass Frank weder über eine kaufmännische Ausbildung noch über Erfahrung als Geschäftsmann verfügte. Drei Monate später hatte er das Soul & Sound Tonstudio gegründet, ein schickes Loft im Münchner Norden gemietet und sich eine Homepage entwerfen lassen. Dass er auch ihr Erspartes in sein Unternehmen gesteckt hatte, als es bergab gegangen war, war die große Überraschung nach seinem Tod gewesen. Weshalb hatte er nichts gesagt? Gemeinsam hätten sie eine Lösung finden können und das Desaster abwenden, das er ihr hinterlassen hatte.
Und nun saß sie also ohne Frank da und ohne Ersparnisse, dafür aber mit Schulden, die sie Monat für Monat abstotterte, denn so schlau war Frank dann nicht gewesen, eine GmbH zu gründen. Dazu hätte Sepp ihm raten sollen! Dann wäre Franks Firma jetzt einfach pleite, und sie hätte nichts damit zu tun. Wütend trat Ella gegen den Granitsockel einer Blumenschale, die sie für Sepps neuen Baumarkt draußen im Gewerbegebiet anfertigte. Sie sollte den Platz vor dem Eingang schmücken und war tatsächlich der erste Auftrag, den die Steinmetzfamilie Loibl je von einem aus dem Schattenhofer-Clan erhalten hatte, obwohl sie verwandt waren. Vermutlich wollte er so sein schlechtes Gewissen beruhigen, doch das würde nicht reichen.
Die Kirchturmuhr schlug sechs. Zeit, Feierabend zu machen. Ella fegte die Werkstatt. Der Marmorlieferant drängte auf Begleichung der letzten beiden Rechnungen. Wenn sie ihn bezahlte, fehlte ihr das Geld für die Bankrate am Monatsanfang. Ihre Kinder konnte sie nicht um Hilfe bitten. Vinzenz machte seinen Meister als Steinmetz bei einem Kollegen in Würzburg. Miete und Lebenshaltungskosten verschlangen das schmale Gehalt. Und Sandra studierte in Berlin, und das Geld, das sie mit diversen Jobs nebenbei verdiente, reichte gerade so.
Ella schloss die Werkstatt und wollte nach ihrer Mutter sehen, die im Hinterhaus wohnte. Sie war siebenundachtzig, kam aber noch sehr gut allein zurecht. Durchs offene Fenster war der Fernseher zu hören. Mama sah ihre Lieblingsserie. Dabei störte man sie besser nicht. Ella trollte sich gleich wieder und betrat das Haus, das so schrecklich leer war, seit die Kinder nicht mehr hier wohnten und vor allem seit Franks Tod.
Die Stille legte sich wie Blei auf ihre Schultern, und gleichzeitig saß eine quecksilbrige Unruhe in ihr. Was sie jetzt brauchte, war entweder ein Glas Wein oder Bewegung.
Es war ein schöner Sommerabend. Sie entschloss sich, eine Runde zu radeln. Zu viel Wein in den letzten Wochen. Sie ging ins Schlafzimmer, zog die Sportsachen an, klemmte die Wasserflasche in die Halterung am Rad und schob einen Energieriegel in die Rückentasche des Shirts. Dann schwang sie sich aufs Mountainbike und fuhr los Richtung Sellbacher Holz. Von dort konnte sie über Oberschleißheim zurück nach Altbruck radeln. Bis zur Tagesschau würde sie wieder daheim sein. Es sei denn, sie gönnte sich im Schleißheimer Schlossbiergarten eine Brotzeit, wie Frank und sie es oft getan hatten. Er fehlte ihr so sehr.
Ein Klumpen setzte sich in ihren Hals. Sie blinzelte die Tränen weg und durchquerte das Dorf. Der Biergarten beim Lindenwirt war voll und der Straßenrand zugeparkt. Hauptsächlich Münchner. Am Kriegerdenkmal goss der Gemeindearbeiter die Eisbegonien. Das neue Feuerwehrhaus sah auch nach zehn Jahren noch so aus, als wäre ein Ufo mitten in Altbruck gelandet. Agnes schloss den Dorfladen, und Ella winkte ihr im Vorbeifahren zu. Alles war wie immer und wirkte wie Balsam auf ihrer wunden Seele.
Am Spielplatz und neben der Bushaltestelle hingen die ersten Veranstaltungsplakate. Im Oktober war Landtagswahl in Bayern, und auch in Ellas geliebtem Altbruck fanden die neuen Rechten Anhänger. Ihre Gedanken kehrten zum Schuldenberg zurück, während sie das Dorf hinter sich ließ und auf einen Feldweg Richtung Forst einbog.
Was konnte sie tun, um das Desaster abzuwenden? Es fiel ihr nichts ein. Sie wollte weder mit ihrer Mutter darüber sprechen noch Sepp um ein Darlehen bitten. Der reiche Schattenhofer-Clan sah seit jeher auf die armen Verwandten herab, und sie gönnte Sepp die Genugtuung nicht, dass eine von ihnen ihn um Geld bat. Wobei Frank damit ja keine Probleme gehabt hatte. Zehntausend Euro Anschubdarlehen hatte Sepp ihm gegeben.
Auf den Feldern standen Weizen und Gerste hoch. Die Luft war warm und roch nach Sommer. Über alldem wölbte sich der Abendhimmel in einem klaren Blau. Anderthalb Kilometer entfernt ragten aus dem neuen Gewerbegebiet Kräne in den Himmel, doch der Baulärm war verstummt, und eine friedliche Stille lag über der Landschaft. Ella reduzierte das Tempo, ihr Ärger verrauchte, die Sorgen verblassten. Sie begann ihren Ausflug zu genießen und ließ den Blick schweifen. Am Waldrand standen zwei Rehe. Über ihr kreiste ein Raubvogel. Vielleicht einer der Falken, die sich im Kirchturm eingenistet hatten. Klatschmohn und Kornblumen am Wegesrand. Eine Idylle, wäre da nicht der Kiesablageplatz vom Dengler. Direkt am Waldrand hatte der Bauunternehmer ein Areal gepachtet. Haushohe Kieshaufen reihten sich aneinander. Als Ella sich näherte, stob eine Krähe mit lautem Krächzen von einem der Hügel auf und setzte eine kleine Lawine in Gang. Kies rutschte hinab, bis an den Rand des Wegs. Ella wich aus und war schon fast daran vorbei, als sie etwas sah, das unmöglich dort sein konnte. Verwundert stoppte sie und stieg vom Rad.
Ihr Verstand weigerte sich zunächst, das Bild, das auf ihre Netzhaut projiziert wurde, als wahr zu akzeptieren. Und doch war er da. Zwar zu Scherben zerborsten, trotzdem ein menschlicher Schädel.
Einen Moment hoffte sie noch, dass das Bild vor ihren Augen verschwimmen und ihr am Ende nichts als Kies zeigen würde. Doch dort lag unverkennbar ein Oberkiefer mit Zähnen, der Unterkiefer daneben. Knochenfragmente rundherum. Der Anblick war nicht eklig oder schaurig, er machte Ella nur unendlich traurig.
Wer war das? Warum lag er hier und nicht auf dem Friedhof?
CHAPTER 2Als Gina am Morgen in die Küche kam, saß ihre Tochter Chiara gewaschen, gewickelt und hübsch angezogen in ihrem Hochstuhl am Frühstückstisch und hielt stolz ein Stück Breze hoch. »Ara tauft.«
»Oh, ihr wart ja schon beim Bäcker.« Sie setzte der Kleinen einen Kuss auf die dunklen Locken, sog den Duft ihrer Haut ein, und eine Welle von Liebe, Glück und Dankbarkeit überrollte sie. Dass Chiara lebte und es ihr so gut ging, grenzte an ein Wunder.
»Guten Morgen, Liebes!« Tino stand vor seiner neuen Espressomaschine, einem chromblitzenden Vollautomaten, der jeder Espressobar zur Ehre gereichen würde. »Cappuccino oder Latte macchiato?« Abwägend hob er Tasse und Glas hoch.
»Cappuccino.« Gina gab auch ihm ein Bussi und bemerkte den Korb mit frischen Croissants und Semmeln. »Wow! Bietest du uns diesen Service jetzt jeden Tag?«
»Mal sehen, wie lange ich durchhalte.« Tino zwinkerte ihr zu. »Meine Ambitionen, den perfekten Hausmann zu spielen, sind begrenzt.«
»Gut so. Dann bleiben wir auf Augenhöhe.« Ginas hausfraulicher Ehrgeiz war noch nie sehr ausgeprägt gewesen, und nach zwei Jahren Elternzeit gab sie unumwunden zu, froh zu sein, wieder arbeiten zu können. Sosehr sie ihre Tochter auch liebte, das ausschließliche Mutter- und Hausfrausein war nicht ihr Ding. Ihr fehlte der Ausgleich. Eine Herausforderung, die nicht allein darin bestand, ein Kind großzuziehen und sich auf dem Spielplatz den verschämten Fragen der anderen Mütter zu stellen, ob mit ihrer Tochter denn alles in Ordnung sei.
Wie abgemacht, hatte sie mit ihrem Mann endlich die Rollen getauscht. Seit gestern ermittelte sie wieder bei der Münchner Mordkommission in der Abteilung für ungeklärte Altfälle, während er seinen Platz im Kommissariat 11, »Vorsätzliche Tötungen«, vorübergehend geräumt hatte und daheim bei Chiara blieb, die mit dem Downsyndrom und einem Herzfehler geboren und bei der zwingend notwendigen OP beinahe gestorben war.
Gina unterdrückte die aufsteigenden Erinnerungen an die fürchterlichste Nacht ihres Lebens. Zuerst Notkaiserschnitt, denn Chiaras Herztöne hatten sich dramatisch verschlechtert. Dann Tino, der weiß wie die Wand vor ihr stand, als sie aus der Narkose aufwachte, und ihr nicht sagen wollte, was geschehen war, sodass sie schon dachte, ihr Kind wäre gestorben.
Dieses wunderbare, besondere Kind, das jetzt lachend im Hochstuhl saß, an einem Stück Breze lutschte und auf die Tasse mit Cappuccino wies, die Tino vor Gina abstellte. »Ara haben will.«
»Damit warten wir noch ein paar Jahre.« Gina fuhr ihr durch die Locken. »Das ist nichts für kleine Lausemädels.«
Sofort versuchte Chiara das neue Wort zu wiederholen. In ihrer sprachlichen Entwicklung war sie genauso weit wie gleichaltrige Nichtbehinderte, wenn nicht sogar weiter. Doch motorisch hinkte sie gewaltig hinterher und war bisher über das Stadium Krabbeln und Hochziehen nicht hinausgekommen, trotz regelmäßiger Ergotherapie. »Sausedel«, krähte sie vergnügt.
»Lau-se-mä-del.«
»Sämedel. Ara Sämedel.« Kichernd hob ihre Tochter die Breze an den Mund. »Ara haben will!«
»Kein Kaffee für Lausemädels«, wiederholte Gina und ahnte, dass gleich das Geschrei losgehen würde. Prompt verzog die Kleine das Gesicht, warf die Breze auf den Boden und begann zu weinen. »Haben will! Ara haben will!«
»Kein Kaffee für die Prinzessin. Da hat Mama schon recht. Aber wie wäre es damit?« Tino gab etwas von der schaumigen warmen Milch in eine Espressotasse und stellte sie vor Chiara ab. Das Geschrei verebbte sofort, und die Sonne ging in Chiaras Gesicht auf. Sie griff nach der Tasse, verschüttete aber einen Teil schon beim Hochheben und einen weiteren beim Trinken. Dennoch strahlte sie.
»Jetzt musst du sie umziehen.«
»Das mache ich nach dem Frühstück«, sagte Tino.
Gina nahm sich ein Croissant. Der Cappuccino war gut und genau richtig, um in Betriebsmodus zu kommen.
Aus dem Küchenfenster blickte sie direkt auf den Alten Südfriedhof, den ehemaligen Pestfriedhof im Herzen Münchens. In der Ulme unweit des Fensters saß eine Elster, und unten auf den gekiesten Wegen waren bereits Besucher und Jogger unterwegs.
Auf dem Frühstückstisch lag der Münchner Blick, wie Gina überrascht feststellte. »Seit wann kaufst du denn den Blick?«
»Seit dem Knochenfund in Altbruck. Ich habe gestern mal gegoogelt, wie die Medien darauf reagieren, dass die Staatsanwaltschaft kein Ermittlungsverfahren einleitet.«
»Und?«, fragte Gina. »Offenbar machen sie deswegen keine große Welle.«
»Nur Melissa Wittock beißt sich an dem Thema fest.«
Die Journalistin vom Münchner Blick – einer Zeitung, die Tino gerne als Drecksblatt bezeichnete – war eigentlich seine liebste Pressefeindin. Einige Jahre zuvor hatte sie aus Tino den Prügelbullen gemacht. Ohne sich zu informieren, was tatsächlich geschehen war, war sie auf die Aussage des angeblichen Opfers hereingefallen.
Gina überflog den Artikel. Vor einigen Tagen hatte eine Radfahrerin bei Altbruck einen menschlichen Schädel auf einem Kiesablageplatz entdeckt und die Polizei gerufen. Bei der anschließenden Suche mit Leichenspürhunden waren Skelettteile von zwei Personen gefunden worden, die sieben bis acht Jahrzehnte in der Erde gelegen haben mussten. Die Todesursachen waren auf die Schnelle nicht feststellbar und der zuständige Staatsanwalt Christoph Leyenfels bekannt dafür, dass er sich ungern unnötige Arbeit machte. Nach so langer Zeit sei ein Gewaltverbrechen nicht mehr nachweisbar. Melissa Wittock ereiferte sich nun in ihrem Artikel, wie unmenschlich es sei, weder die Identität der Toten zu klären noch die Umstände ihres Todes.
Ein unbestimmter Ärger stieg in Gina auf, eine Erinnerung arbeitete sich an die Oberfläche. Dann bis morgen, Gina! Hermines letzte Worte, bevor sie sich am Stachus getrennt hatten. Doch ein Morgen hatte es für ihre Schulfreundin vermutlich nicht gegeben.
Gina ließ die Zeitung sinken. »Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich mit der Wittock mal einer Meinung sein werde. Aber sie hat recht. So geht das nicht. Irgendwo wartet vielleicht jemand noch immer darauf, etwas über das Schicksal eines Angehörigen zu erfahren.«
»Nach siebzig Jahren?«
»Warum nicht? Vermisste hinterlassen Löcher in ihren Familien, weiße Flecken. Leerstellen. Sie fehlen.« Gina merkte selbst, wie aufgebracht sie war. Es lag an Hermine.
Was wohl aus ihr geworden wäre, wenn sie sich damals nach der Party nicht am Stachus getrennt und sie Hermine noch bis zur S-Bahn begleitet hätte? Vielleicht wäre sie jetzt auch verheiratet. Doch sie hatten sich getrennt. Seither fehlte von Hermine jede Spur. Sie war einfach verschwunden, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Noch heute hielt Gina losen Kontakt zu ihren Eltern und wusste daher, wie sehr das ungeklärte Schicksal ihrer Tochter sie belastete. Es machte sie fertig. Sie konnten nicht damit abschließen, und Gina pflichtete der Wittock bei: Es war unmenschlich.
(Continues…)
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